Ich werde dieses Gefühl niemals vergessen.
Es war fünf Uhr morgens und die Sonne war noch nicht hinter dem Lake Michigan aufgegangen. Eine Krankenschwester schob meine neugeborene Tochter zurück in das dunkle Krankenhauszimmer, in dem ich seit der Geburt geschlafen hatte. Meine Tochter war mit Tüchern zu einem winzig kleinen Bündel zusammengewickelt worden und schlummerte friedlich.
Ich öffnete erschöpft meine Augen und wurde von einer unglaublichen Freude und Fassungslosigkeit überrollt. “Sie gehört mir”, dachte ich mir. “Das ist mein kleines Baby.”
Ich war mir sicher, dass ich in diesem Moment die Liebe auf den ersten Blick erlebte, von der so viele Mütter schwärmen. Und vielleicht war ich auch tatsächlich einen Augenblick lang verliebt. Doch als die Tage vergingen und ich immer mehr in postpartalen Depressionen versank, wurde mir klar, dass ich eine dieser Mütter war – eine Mutter, die keine tiefe Verbindung zu ihrem Baby empfinden konnte.
Ich schämte mich für meine Gefühle
Diese Erkenntnis war niederschmetternd. Ich schämte mich dafür und ich war enttäuscht und alarmiert. Ich liebte meine kleine Tochter, doch ich empfand nicht die Art von Liebe zu ihr, die ich erwartet hatte. Und von der ich wusste, dass viele andere Mütter sie aufrichtig empfinden konnten.
Bereits mein ganzes Leben lang war mir die Liebe einer Mutter auf unzählige Arten beschrieben worden: Sie würde vom ersten Augenblick an eintreten. Sie sei natürlich, wunderschön, unvorstellbar, unvergleichbar, unfassbar, allumfassend, lebensverändernd und das höchste aller Gefühle.
Ich hatte noch nie gehört, dass jemand Mutterliebe mit den Gefühlen beschrieben hätte, die ich wahrnahm. Denn für mich war sie kompliziert und furchteinflößend. Das Schlimmste war jedoch, dass sie für mich nichts Besonderes war.
Ich fand meine Tochter bezaubernd und ich betrachtete sie als unglaubliches Geschenk. Doch ich konnte diese Liebe, die einen komplett aus der Bahn wirft, einfach nicht spüren. Ich war erschöpft vom Schlafmangel und ich fühlte mich überfordert, weil ich permanent die Bedürfnisse meiner Tochter erfüllen musste.
Außerdem war ich überzeugt davon, dass jede andere Frau eine bessere Mutter für sie sein könnte als ich. Diese Überzeugung ist übrigens ein typisches Symptom von postpartalen Depressionen. Es fühlte sich so an, als würde ich die Rolle der glücklichen Mutter nur vortäuschen – nach außen kümmerte ich mich zwar um mein Kind, doch hinter der Fassade verbargen sich ganz andere Gefühle.
Ich quälte und bestrafte mich selbst
Währenddessen baute mein Mann genau die Art von Verbindung zu unserer Tochter auf, die eigentlich ich hätte entwickeln sollen. Er war vom ersten Augenblick an in sie verliebt. Und ich beneidete ihn darum, wie leicht ihm das fiel. Wenn ich ihn mit ihr zusammen sah, fragte ich mich, ob ich das wohl auch jemals schaffen würde.
Ich hatte Angst, dass es mir nie gelingen würde. Ich quälte mich selbst mit Fragen, die im Nachhinein betrachtet wohl eine Art Bestrafung sein sollten: “Liebe ich meinen Mann mehr als mein Kind?” Oder: “Liebe ich meine Tochter denn überhaupt?”
Ich stellte mir diese Fragen über Monate hinweg, was zum Teil an meinem Schlafmangel, meinen Depressionen und meiner Angst vor Veränderung lag.
An diesem Punkt würdest du wahrscheinlich gerne hören, dass es irgendwann einen magischen Augenblick gab, an dem ich meiner Tochter in die Augen sah und ab dem plötzlich alles gut war. Doch einen solchen Moment hat es nicht gegeben.
Stattdessen gab ich auf.
Ich ließ los ...
Ich ließ meine Erwartungen los und konzentrierte mich auf den Augenblick. Ich wusste, dass ich meine Tochter liebte. Und das reichte aus.
Ich begann zu akzeptieren ...
Ich akzeptierte, dass ich an postpartalen Depressionen litt. Und ich vergab mir allmählich dafür, dass ich zuließ, dass die Krankheit mir diese freudige Phase in meinem Leben raubte.
Ich hörte auf ...
Ich hörte auf, meine ersten Erfahrungen als Mutter mit denen von anderen Frauen zu vergleichen. Zumindest bemühte ich mich sehr darum, es sein zu lassen. Wenn ich mich wegen eines Posts in den sozialen Medien wie eine Versagerin fühlte, verfolgte ich ihn nicht mehr weiter. Ich schrieb meine Gefühle auf und las Artikel von anderen Frauen, die ähnliche Erfahrungen gemacht hatten. Denn tatsächlich gibt es da draußen mehr Betroffene, als ich gedacht hätte.
Ich öffnete mich ...
Ich öffnete mich gegenüber meiner Familie und meinen Freunden. Ich erzählte ihnen klipp und klar von meinen Problemen und wie schwer es für mich war, dass ich diese Euphorie einer frischgebackenen Mutter nicht empfinden konnte. Die Herzlichkeit und Unterstützung, die mir andere Mütter und auch kinderlose Frauen gleichermaßen zukommen ließen, bauten mich wieder auf, als ich es am dringendsten benötigte.
Ich kümmerte mich ...
Ich kümmerte mich um mich selbst. Man sagt, dass man niemanden lieben kann, wenn man sich selbst nicht liebt. Und das stimmt auch. Also begann ich, bei der Arbeit hin und wieder gemütlich einen Kaffee zu trinken, früh ins Bett zu gehen, anstatt noch die Wäsche zu waschen, oder mir ab und zu Zeit für eine Joggingrunde zu nehmen. Je mehr ich gut für mich selbst sorgte, desto glücklicher wurde ich. Und dadurch wurde ich auch zu einer besseren Mutter.
Und während ich all diese Dinge tat, fiel mir gar nicht auf, dass ich mich verliebt hatte.
Plötzlich war die große Liebe da
Die Liebe zu meiner Tochter war wie ein Sonnenaufgang, der langsam aber beständig voranschritt. Da ich noch immer in meinen dunklen Gefühlen feststeckte, zweifelte ich daran, dass die Sonne jemals am Horizont erstrahlen würde. Doch ehe ich es mich versah, konnte ich mich schon in ihrem vollen Glanz sonnen.
Irgendwo zwischen meiner postpartalen Krise und der Gegenwart hatten Millionen von kleinen Momenten – darunter sowohl Höhen als auch Tiefen, sowohl Gelächter als auch Tränen – einen bleibenden Platz in meinem Herzen erschaffen. Und das, obwohl ich nicht geglaubt hatte, dass es diesen Platz in meinem Herzen jemals geben könnte.
Während ich meiner Tochter bei ihren ersten Krabbelversuchen zusah, wurde unsere Verbindung immer stärker. Während ich sie um 3 Uhr morgens in den Schlaf wiegte und mich fragte, ob man an Schlafmangel eigentlich sterben konnte, wurde unsere Verbindung immer stärker.
Das erste Lachen, die ersten Schritte, das erste Wort, der vierte Zahn, die achte Krankheit, der fünfzigste Tobsuchtsanfall, die hundertste Umarmung ... Während all dieser Erlebnisse wurde unsere Verbindung immer stärker und stärker. Bis sie schließlich zu der stärksten Verbindung wurde, die ich in meinem ganzen Leben je empfunden habe.
Ein Jahr später grenzt die Liebe zu meiner Tochter sogar schon fast an Sucht. Ich lebe nur für sie und ich wäre bereit, mein Leben für sie zu geben. Während ich diese Zeilen schreibe, muss ich weinen. Denn diese Gefühle sind das Aufrichtigste, was ich je empfunden habe. Und ich kann kaum mehr glauben, dass ich jemals Angst hatte, dass ich niemals an diesen Punkt kommen könnte oder würde. Und auch du wirst es schaffen.
Dieser Artikel erschien ursprünglich bei The Everymom und bei der HuffPost UK und wurde von Susanne Raupach aus dem Englischen übersetzt.