Das Recht auf Asyl, der UN-Migrationspakt, die Öffnung der Ehe: Der Kampf um den CDU-Chefposten – er ist auch ein Kampf um Merkels politisches Erbe und die Frage, was davon nach dem Machtwechsel noch übrig bleiben darf.
Nichts ist mehr heilig, was in der Ära-Merkel noch als unantastbar galt. Als hätte der Merkel-Rückzug ein Ventil für alle konservativen Sehnsüchte der Mitglieder geöffnet.
Ihre Treiber: Die drei aussichtsreichsten Kandidaten Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK), Friedrich Merz und Jens Spahn.
Das Ziel: Die Union wieder attraktiv für konservative Wähler zu machen, die Partei mit sich selbst zu versöhnen und der AfD stimmen abzujagen. Er könne die Rechtspopulisten halbieren, kündigte Merz mit markigen Worten an.
Was der konservative Rollback in der CDU bedeutet – auf den Punkt gebracht:
Rollback auf verschiedenen Fronten:
Es ist das große Reizthema in der CDU: Merkels Kanzlerschaft wird untrennbar mit ihrer Flüchtlingspolitik verbunden. Kein Wunder also, dass die Kandidaten mit diesem Thema punkten wollen.
► Spahn hat mit seinen Aussagen zum UN-Migrationspakt vorgelegt.
Der Gesundheitsminister forderte, dass die CDU auf dem Bundesparteitag im Dezember über die Zustimmung Deutschlands zum Pakt abstimmen solle. Merkel hingegen verteidigte das Papier leidenschaftlich im Bundestag.
Mitstreiter findet er im CDU-Landesverband Sachsen-Anhalt und dem Chef der Mittelstandsvereinigung der Partei, Carsten Linnemann.
► Am Mittwochabend legte der Merz dann auf der Regionalkonferenz in Thüringen nach.
Seiner Meinung nach müsse darüber geredet werden, ob das Asylgrundrecht “in dieser Form fortbestehen” könne. Eine Forderung, die bislang selbst der CSU zu heikel war und nur von der AfD vertreten wurde.
Öffentliche Mitstreiter finden sich dafür bislang nur wenige. Dazu gehören etwa Sachsen-Anhalts CDU-Chef Holger Stahlknecht.
► Kramp-Karrenbauer hingegen versucht den Rollback bei einem gesellschaftspolitischen Thema. Sie arbeitet sich an der vor einem Jahr im Bundestag beschlossenen Ehe für alle ab.
2015 verglich die Saarländerin die gleichgeschlechtliche Ehe indirekt mit Inzest und Polygamie. Und bis heute ist sie davon nicht abgerückt.
Vorvergangene Woche sagte sie bei “Illner” im ZDF: Man nehme die “Geschlechtlichkeit” als Kriterium einer Ehe weg, so würde nach ihrer Ansicht Raum für weitere Möglichkeiten geschaffen. “Das war meine Position. Das ist meine Position”, hielt sie fest.
AKK bewerbe sich für den Posten “Miss Homophobie”, kommentiert die “Neue Westfälische”.
Mitstreiter findet sie etwa in der CDU-Bildungsministerin Anja Karliczek, die die Entscheidung zur Öffnung der Ehe als ”überstürzt” kritisierte.
Die Folgen des Rollbacks: Tabu-Themen sind kein Tabu mehr
Die CDU diskutiert wieder – endlich, sagen viele Mitglieder, die das Gefühl hatten, dass heikle Themen unter Merkel totgeschwiegen wurden. Und von denen gibt es noch viele.
Der Atomausstieg, die Klimapolitik, die “ever closer Union” – ein immer enger zusammenwachsendes Europa, der Euro: Die Liste ließe sich fortsetzen.
Wenn nicht jetzt, wann sonst sollte die CDU all diese Themen diskutieren? Die Forderung nach einer “Debatte” ist das neue Zauberwort der drei Kandidaten.
Es ist die defensive Offensive, mit der sich jedes erdenkliche Tabu aufbrechen lässt, ohne sich festzulegen. Nach dem Motto: Drüber reden kann man ja mal, Ende offen.
Gefahr, die CDU zu spalten ...
Von der kuscheligen Atmosphäre der ersten Regionalkonferenz in Lübeck vor einer Woche ist am heutigen Donnerstag nicht mehr viel übrig.
Sowohl AKK als auch Spahn machen Merz für seinen Vorstoß beim Asylrecht schwere Vorwürfe. Der sei nicht mit dem Wesenskern der CDU vereinbar, sagte die CDU-Generalsekretärin. Und Spahn nannte das Grundrecht eine “große Errungenschaft”.
Ungewöhnlich scharf ging NRW-Ministerpräsident Armin Laschet mit Spahn ins Gericht. Er warnte vor einer ″Überbetonung” der Migrationspolitik und einem Rechtsruck. Und der frühere CDU-Vize Norbert Röttgen nannte den Migrationspakt “im vitalen Interesse Deutschlands.”
► Klar, dass im Wettbewerb um den CDU-Chefposten auch harte Bandagen erlaubt sind.
► Aber: Die CDU muss aufpassen, dass ihre bemerkenswert sachliche Debatte der vergangenen Wochen nicht im Streit endet. Grundsatzfragen haben immer das Potential, eine Partei zu spalten – besonders dann, wenn sie so umstritten sind wie in der Migrationspolitik.
Wer sie führt, muss wissen: Merkels Nachfolge wird nur dann Erfolg haben, wenn er es schafft, die Gräben der vergangenen Jahre zu schließen – und nicht weiter aufzureißen.
... und Wähler zu vergraulen
Auf den Regionalkonferenzen mögen AKK, Spahn und Merz viel Applaus für ihre Vorschläge bekommen. Doch die CDU-Mitglieder sind nur eine Minderheit aller Wähler der Partei. Und hier ist der konservative Rollback deutlich umstrittener.
► Eine deutliche Mehrheit der Deutschen lehnt einen Rechtsruck der CDU ab. Einer Anfang November veröffentlichten Forsa-Umfrage für RTL und n-tv zufolge halten es 63 Prozent der Befragten für falsch, wenn die CDU konservative Werte wieder stärker betont.
► Nur 29 Prozent würden dies befürworten.
„Wahlen werden immer noch in der Mitte gewonnen, allerdings ist die Mitte breiter geworden”, sagt der Düsseldorfer Politologe Stefan Marschall der Deutschen Presseagentur. Nur kurzfristig könne die CDU der AfD mit einem härteren Kurs Stimmen abjagen.
► Und Fakt ist auch: Die CDU bröckelt gerade etwas mehr in der Mitte als am rechten Rand. Die Hessen CDU verlor leicht mehr Wähler an die Grünen als an die AfD.