Ben, Franky und Max sind Mitglieder der globalen Zeitgeist Bewegung. Die Zeitgeist Bewegung plädiert für einen grundlegenden Wertesystemwandel, und zwar im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Praxis.
Das dominierende Thema ist dabei das Adressieren gravierender, inhärent-struktureller Mängel unseres sozio-ökonomischen Systems und die Präsentation passender Lösungsvorschläge, wie etwa Nachhaltigkeitsprojekte oder alternative Bildungskonzepte. Die Teilnehmer des Interviews haben die meist kritischen Fragen unabhängig voneinander beantwortet.
Heinle: Hallo ihr Drei! Schön, dass dieses Interview zustande kommt. Ich selbst habe 2011 zum ersten Mal von eurem Movement gehört. Damals lebte ich noch in Panama, was mich viele soziale und ökologische Verwerfungen sehen und infolgedessen zum ersten Mal richtig über gesellschaftliche Fragen nachdenken lies. Ohne mich genauer auszukennen hatte ich das subtile Gefühl, dass gegenwärtig einiges schief läuft und die Zeitgeist Bewegung das endlich benennt.
Ich wollte mit Leuten aus der Bewegung sprechen, mich in die Thematik einarbeiten und aktiv werden. Leider beschränkt sich mein Wissen über „Zeitgeist" nach wie vor auf die
Filme, was ja bekanntlich nicht mit der Bewegung gleichzusetzen ist und leider passierte in Panama auch noch so viel, dass ich nicht mehr dazu kam, mich eingehend mit euch und euren Ideen zu beschäftigen.
Aber jetzt habe ich ja endlich die Möglichkeit. Bevor wir mit den eigentlichen Fragen, über die Bewegung, beginnen, möchte ich euch noch bitten euch kurz vorzustellen und uns zu schildern, wir ihr zu der Zeitgeist-Bewegung gekommen seid?
Holland: Fast klassisch. Ich habe Peter Joseph's Trilogie gesehen und da ich mich mit der geschilderten Philosophie, insbesondere des dritten Teils und den aufgeworfenen Fragen zu dieser Zeit identifizieren konnte, habe ich ein Jahr, viele Videos, Bücher und Artikel später den Kontakt zu Gleichgesinnten im echten Leben gesucht und sie auf dem Z-Day 20 12 in Köln zum ersten Mal gefunden.
Es war eine große Erleichterung viele Menschen in meinem Alter zu erleben, die sich auf unkonventionelle und radikale Weise akuten und absehbaren gesellschaftlichen und ökologischen Problem widmen.
Heinle: Was ist überhaupt ein „Zeitgeist"?
Holland: Das Wort steht im Englischen und Deutschen für das Selbe; das sozio-kulturelle Klima einer Epoche. Gesellschaften aus selbstbewussten Wesen erleben immer einen Zeitgeist und jeder der heute lebt, ist aktiver Teilnehmer, selbst wenn er sich nicht gar nicht im Movement engagiert.
Das Wort beschreibt also keine Utopie, sondern auf neutrale Weise einen Istzustand. Hauptanliegen der Aktivisten im Movement ist dabei Bewusstsein zu schaffen, für Zusammenhänge von Bio-Kreisläufen, Wirtschaftssystemen, Bildungskonzepten etc. und Veränderungsprozesse anzustoßen, bei uns selbst und unseren Mitmenschen, in Bezug auf Weltsicht und Alltagsverhalten.
Heinle: Was ist für euch, in einem Satz zusammengefasst, der innerste Kernpunkt der Zeitgeist Bewegung?
Holland: Die Anwendung der wissenschaftlichen Methode auf soziale und ökologische Probleme. Oder: das Überleben der menschlichen Spezies auf diesem Planeten mit dem besten verfügbaren Wissen zu gewährleisten und existenzielle Ängste der Menschen langfristig zu beseitigen.
Heinle: Zweitens verbinde ich mit dem westlichen Politikverständnis auch eine Form von Demokratie. Demokratie hat immer eine ganz starke individuelle und ideologische Dimension. Das heißt, dass verschiedene Menschen ihren jeweiligen Wunsch nach Multikulti oder einer Leitkultur durch ihre Stimme Ausdruck verleihen und so die Geschicke ihrer Nation mitbestimmen können.
Bei der Wissenschaft ist das anders. Die deskriptiv-forschende Wissenschaft geht davon aus, dass es je nur eine wahre Antwort auf eine präzise Frage, wie etwa die Integration, gibt. Führt uns die Vorstellung einer wissenschaftlichen Methode für gesellschaftliche Themen nicht weg von einer pluralistischen und demokratischen Gesellschaft und mündet in einer Art Aristokratie, in der nur noch als befähigt geltende Wissenschaftler etwas zu sagen haben?
Holland: Die Vorwürfe eine Technokratie, Logokratie oder „computergesteuerte Gesellschaft" etablieren zu wollen hören wir ständig. Die Motive für solche Vorwürfe sind vielfältig. Angst vor Kontrollverlust oder vor Verlust von Selbstbestimmung zum Beispiel. Es geht um Skeptik gegenüber Technikpaternalismus oder schlicht darum, uns von vornherein durch ein Strohmannargument mundtot zu machen und zu diskreditieren.
Redikaler gesellschaftlicher Wandel ist nicht im Interesse von Profiteuren des Aktuellen Systems, aber selbst Ausgebeutete, an den Rand gedrängte Menschen verteidigen (die Karotte vor Augen) das System oft mit Händen und Füßen... Diese Reserviertheit und regelrechte Aggression gegenüber allem zu lösen, was einen Paradigmenwechsel und die Aufgabe von kulturell zementierter Dogmen bedeuten würde, ist sicher ein unsere Arbeit dominierender Aspekt.
Warum aber zieht das Argument nicht, dass Wissenschaftler eine elitäre Kaste in einer ressourcenbasierten Wirtschaft einnehmen würden? Nun, die Systeme, die Zugang und Verfügbarkeit von Ressourcen und Produktionszyklen überwachen sind öffentlich und werden laufend gehackt und optimiert. Es würde auffallen, wenn sich jemand etwas für den eigenen Bedarf abzwackt.
Unabhängig davon gibt es kein Geld mehr und wenn alles nötige verfügbar ist (und was nötig ist entscheiden Menschen nachdem Software gezeigt hat was MÖGLICH ist untereinander), fällt es mir zumindest schwer, mir vorzustellen, wie Bestechung oder Vetternwirtschaft funktionieren soll. Aber ich kann diese Frage wohl nicht zufriedenstellend beantworten, wir müssen im Kleinen anfangen, um Konzepte für Konfliktlösung und Entscheidungsfindungsprozesse auszuprobieren und anderen zeigen, dass es funktioniert. Ich habe Vertrauen in jeden Menschen, zu lernen und umzudenken.
Wir sind nicht unseres nächsten Wolf und sobald wir wieder Vertrauen zu einander finden (und Gegenwärtig tun wir vieles, um Vertrauen in uns selbst und einander zu schädigen) wird gesellschaftlicher Druck abnehmen und Eigennutz auch wieder Gemeinnutz.
Heinle: Beim Anwenden der wissenschaftlichen Methode auf die ökonomischen Belange soll vor allem Wert darauf gelegt werden, dass die endliche Ressourcenkapazität der Erde berücksichtigt ist. Das nennt sich dann ressourcenbasierte Wirtschaft und ist eines eurer Hauptanliegen.
Klingt zunächst wieder super, weiß doch jeder, dass wir auf Kosten der Umwelt und nachfolgender Generationen leben und das eigentlich nicht sollten. Aber ich habe auch wieder ein paar Fragen an euch. Zuerst drängt sich mir die Frage auf, wie man eine Wirtschaft an die Knappheit von Gütern ausrichten möchte, wenn man von vielen Gütern gar nicht weiß, wie knapp sie eigentlich sind?
Hätten wir beispielsweise vor 40 Jahren auf den Club of Rome gehört, der das Versiegen der letzten Erdölquellen noch vor der Jahrtausendwende prognostiziert hatte, dann hätten wir mit einer ressourcenbasierten Wirtschaft wohl falsche und voreilige Schlüsse gezogen und viel an Industrie und Wohlstand eingebüßt.
Formell kann eine ressourcenbasierte Wirtschaft also noch so schlau ausgetüftelt sein, was nützt sie uns, wenn wir sie doch inhaltlich noch nicht mit den richtigen Daten füttern können, weil wir von viele Ressourcen schlichtweg gar nicht wissen, wie viel wir uns davon zur Verfügung steht?
Holland: Bei der Beurteilung der Verfügbarkeit von Gütern und Ressourcen muss man sich mehrere Dinge vergegenwärtigen. Wir haben bereits einen guten Teil der notwendigen Daten, sowie die Infrastruktur und Rechenleistung, um alle relevanten Ressourcenvorkommen zu identifizieren und zu Inventarisieren.
Dazu gehören zB. Satelliten, die Umwelteinflüsse und Veränderungen in Ökosystemen registrieren, aber auch Erdbeben- und Tsunami Frühwarnsysteme, modernes Forschungsequipment in Umweltlaboren, Supercomputer für Wetter- und Klimasimulationen und und und... Das Wissen um Öl-, Erz-, Wasservorkommen ist aber im heutigen System Betriebsgeheimnis von Regierungen und privaten survey- und Explorationsunternehmen.
Die Öffentlichkeit hat oft keinen Zugriff auf diese Inforamtionen und Technik. Das sie nicht öffentlich zugänglich sind heißt aber eben nicht, dass es sie nicht gibt.
Heinle: Wie genau funktioniert eine ressourcenbasierte Wirtschaft denn und warum ist sie so wichtig?
Holland: Eine mich zufriedenstellende Antwort auf die erste Frage würde den Ramen des Interviews sprengen und obwohl ich versucht bin, einige Seiten zu schreiben, um dem geneigten Leser auch den Wind kritischer Nachfragen aus den Segeln zu nehmen, empfehle ich jedem der sich für die NL-RBE (natural law - ressource based economy) interessiert, das frei zugängliche PDF „
The Zeitgeist-Movement defined".
Heinle: Gehen wir davon aus, dass in naher Zukunft eine ressourcenbasierte Weltwirtschaft installiert wird. Und dass sie auch funktioniert, sprich eine soziale und ökonomische Nachhaltigkeit garantiert. Einige Leute würden sicher nicht akzeptieren, oder auch nur verstehen, dass sie für Menschen, die noch nicht einmal geboren sind, ihren Lebensstandard zurückstufen müssen.
Wie soll man in eurer neuen Gesellschaftsordnung mit solchen Leuten umgehen? Führt uns das hohe und kollektivistische Ziel von Nachhaltigkeit nicht zwangsläufig in eine Art Ökodiktatur, oder geht es auch anders? Kann, ganz allgemein, der Nachhaltigkeitsaspekt, wenn es nötig werden sollte, eine
Ökodiktatur rechtfertigen?
Holland: Faschismus und Ökologie widersprechen sich leider nicht. Bevor wichtige Ökosysteme zusammenbrechen, oder ein Exodus aufgrund von klimawandelbedingten Missernten, leergefischten Meeren etc. stattfindet, kann die Regierung eines Landes selbstverständlich Notfallgesetze mit Hilfe der Armee etablieren, Rationierung, Produktionsstop, Autofreie Sonntage etc.... das heißt natürlich nur, wenn die Soldaten und Polizisten noch gehorchen (die bewaffnete Klasse ist aber für gewöhnlich die in großen Krisen bis zuletzt am besten versorgte).
Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass niemand das Recht haben darf, Ökosysteme zu verschmutzen oder über natürliche Grenzen hinweg zu beanspruchen, wie das aktuell hunderttausendfach auf der Welt passiert.
Anstatt aber menschliches Konsum- und Raubbauverhalten mit Waffengewalt oder unter Androhung von Strafe zu zügeln, wo wir es doch auf der anderen Seite mit Werbung und dem Versprechen auf immer mehr und immer neuen materiellen Besitz befeuern, wäre es doch viel besser, durch Medien und Bildungskonzepte ein Wertesystem zu schaffen und zu verstärken, das den Menschen als Teil seiner Umwelt zeigt und als eine Spezies.
Eine von Millionen. Jeder Mensch, gleich welcher Nationalität und Religion, hat Grundbedürfnisse, die wir heute ohne Probleme sicherstellen könnten. Aber es gilt eben das Sprichwort: die Welt hat nicht genug für jedermanns Gier. Der Lebensstandard, der nicht für alle Menschen funktioniert, ist der falsche.
Im gegenwärtigen, auf Konkurrenz und Verknappung beruhendem sozioökonomischen System, das die Welt als ein großes Ressourceninventar betrachtet und in dem scheinbar alles oder jeder einen Preis hat, wird es nicht funktionieren eine Alternative einfach nur auf den Markt zu werfen und abzuwarten, was passiert.
Spezies Mensch in Gefahr
Asoziales Verhalten wird gefördert oder provoziert und mit Umweltschutz und der Bewahrung von Ökosystemen lässt sich kein kurzfristiger Gewinn machen. Um einmal auf den Begriff der Diktatur einzugehen; die Menschen stehen nicht über Biokreisläufen, sondern sind unbedingt von ihnen abhängig - wir leben unter dem Diktat von Umwelteinflüssen und da wir die einzige Spezies sind, die Umwelteinflüsse massiv zu ihren Gunsten oder zu ihrem Nachteil beeinflussen kann müssen wir entsprechend handeln. Wenn wir das nicht respektieren, riskieren wir das Verschwinden der gesamten Spezies Mensch.
Heinle: Bei euren Zukunftsvisionen verweist ihr gerne auf das sogenannte
Venus-Projekt. Dieses verspricht eine Kompatibilität von Nachhaltigkeit und allgemeinem, technologisiertem Wohlstand. In der heutigen Welt gelten diese zwei Leitideen einzeln schon als utopisch und schon gar nicht als vereinbar. Wie wollt ihr den Bürgern unserer Erde beides, Nachhaltigkeit und Wohlstand, garantieren? Warum sehen wir in dieser Kombi noch einen Widerspruch?
Holland: Ich z.B. verweise nicht auf das Venus-Project. Ich halte es für gefährlich, Menschen zu suggerieren, wir könnten hunderte Millionen oder sogar Milliarden in neugebauten, hocheffizienten Städten unterbringen. Selbst mit den besten uns heute zur Verfügung stehenden Konzepten um Rohstoffe zu sparen, Raum effektiv zu nutzen und die Module so skalierbar und praktisch wie möglich zu gestalten, sehe ich nicht wo die Energie und Materialien dazu herkommen sollen.
Selbst nachdem eine Modellstadt entworfen wurde, steht man vor dem Problem: wer soll jetzt darin wohnen dürfen? Ich vermute die Zukunft wird bescheidender - was Mobilität, Telekommunikation, Essgewohnheiten (Fleisch, mit Ausnahme von Insekten, exotische Früchte etc.) und Privateigentum angeht und wir sollten bereits heute einen resilienten, kulturellen Rahmen schaffen, der den Menschen ein emotionales Rüstzeug für diese Zeit bietet... sonst wird die Fallhöhe für viele aus den Wolken der liebgewonnenen und als „normal" betrachteten Gewohnheiten mit einer schmerzhaften Landung in der Realität verbunden sein.
Heinle: Wenn eure Konzepte, wie etwa die Automatisierung der Arbeit, doch so viel effizienter als die herkömmlichen sein sollen, warum haben sie sich auf dem freien Markt noch nicht durchgesetzt?
Holland: Zunächst einmal gibt es keinen einzigen wirklich freien Markt. Genauso wenig wie vollkommen rational entscheidende Individuen (warum sind wohl hunderttausende Menschen in Deutschland damit beschäftigt andere Menschen durch Werbung zum kaufen zu verführen?!). Das ist marktfundamentalistische Propaganda.
Gewerkschaftsnahe Ökonomen würden das im heutigen Wirtschaftssystem wahrscheinlich so erklären: wenn die Produktivität steigt (Arbeit automatisiert wird, Arbeitsabläufe effizienter werden, die Arbeiter durch mehr Erfahrung mehr leisten etc.), könnten wir entweder Arbeitszeit reduzieren... oder mehr konsumieren.
Wir haben uns in den letzten Jahren durchweg für letzteres entschieden. Gleichzeitig sinkt aber die Massenkaufkraft und durch Massenarbeitslosigkeit sind immer mehr Menschen bereit, sich „billig zu verkaufen".
Die Menschen können sich irgendwann die Produkte nicht mehr leisten, die sie selber herstellen. Das ist ein Paradox im Kapitalismus.
Zudem sind alle wesentlichen „Märkte" vermachtet. Dominant sind oft nur einige hundert Kraken; Großunternehmen mit Tochter- und Subunternehmen in jeder erdenklichen Branche. Jedem fallen sofort entsprechende Kandidaten ein. Mit ihnen kann kein aufsteigender Unternehmer, auch keine Idee konkurrieren.
Sie werden aufgekauft, oder verdrängt, oder sogar geschädigt und lächerlich gemacht - das Konzept einer NL-RBE wird z.B. als utopisch, oder kommunistisch oder sonst etwas gebrandmarkt und wer nicht viel Zeit hat um selbst zu recherchieren, der wird den Global Playern der Medienbranche, Finanz- und Realwirtschaft dieses Urteil eventuell unkritisch abkaufen und übernehmen.
Man sollte aber noch zwei andere Faktoren nennen. Kapitalismus braucht bis zu einem gewissen Grad Ineffizienz und immer zyklischen Konsum. Geplante Obsoleszenz (der Drucker geht pünktlich 2 Monate nach Ablauf der Garantieleistung an einem Bauteil minderer Qualität kaputt etc.), gefühlte Obsoleszenz (Mode. „Hach, die Hose ist noch in Ordnung, aber meine Freundinnen tragen alle schon die aus der neuen Kollektion") und intrinsische Obsoleszenz (Wenn ich Produkte anbieten möchte, kann ich nicht die bestmöglichen Komponenten verwenden und eine gründliche Planungs- und Forschungsphase durchführen.
Das wären alles immense Kosten, die in den Preis einfließen würden) sorgen dafür, dass Produkte niemals nach dem besten verfügbaren Wissen produziert werden und auch nicht auf Nachfrage, nein, es wird durch Werbung oder Popkultur z.B. Nachfrage generiert und es werden gezielt Absatzmärkte geschaffen.
Erich Fromm, Haben oder Sein, lässt grüßen. Im kapitalistischen Ideal müssten wir jedes Jahr mehr konsumieren, sonst droht das ganze auf Wachstum basierte System zu kollabieren.
Auf der holistischen Ebene, wenn man sozusagen das BIP der Welt betrachtet, den jährlichen Ressourcenverbrauch etc., dann passiert das auch. Prozesse zu automatisieren, menschliche Arbeit als Kostenfaktor dort durch „Energiesklaven" (Hans Peter Dürr) zu ersetzen, ist also ein zweischneidiges Schwert im aktuellen System.
Zum einen kann auf lange Sicht nicht alle Arbeit automatisiert werden, das verhindern physische Wachstumsgrenzen wie knappe Ressourcen, seltene Erden, Platz, Sand, Phosphat etc. und zum anderen bricht die Binnennachfrage zusammen, weil Menschen kein Geld mehr verdienen würden wenn jeder Produktionsprozess und jede Dienstleistung automatisiert wird (Wer repariert und wartet die Maschinen? Maschinen!).
Erst wenn man bereit ist, nicht mehr Profit, sondern menschliche Bedürfnisse zur Maxime für die Bereitstellung von Waren und Dienstleistungen zu erklären und die vielen Grenzen von Wachstum akzeptiert, dann haben wir eine Chance auf ein langfristig mit dem Planeten kompatibles, sozioökonomisches System.
Heinle: Privateigentum soll, wenn es nach euch geht, zwar nicht ganz abgeschafft werden, jedoch nach und nach an Bedeutung verlieren und schlussendlich einem allgemeinen, kostenfreien und strategischen Zugang zu den Dingen weichen. Für mich hört sich das nach einer ur-linken Forderung an. Ich ahne aber auch schon, dass ihr euch nicht in ein links-liberal Schema einordnen lassen wollt, oder?
Holland: Das mit dem Privateigentum stimmt und über diesen Gedankengang entrüsten sich auch regelmäßig viele Menschen. „Ihr wollt mir was wegnehmen", sagen sie. Zunächst einmal: Nein. TZM ist eine gewaltfreie Bewegung und wir haben nicht den Anspruch jemandem etwas zu nehmen.
Allerdings wollen wir Bewusstsein für einen möglichen Zustand schaffen, in dem einzelne sich freiwillig zurücknehmen können und einsehen, dass nicht jeder alles haben kann, auf einem Planeten mit begrenztem Platz, begrenzten wandelbaren Ressourcen und begrenzter Individualzeit um zu genießen. Eine Kultur eben, in der Neid nicht mehr existiert, weil das Anhäufen materieller Besitztümer unelegant geworden ist.
Das wir das Konzept bereits heute in vielen Bereichen leben, will ich an einem Beispiel zeigen: viele von uns gehen heute in ein Fitnessstudio und teilen sich dort wie selbstverständlich Geräte und Hanteln sehr hoher Qualität mit vielen anderen Menschen...
Es gibt nur eine handvoll einfacher Regeln und an die halten wir uns - wie verschwenderisch, wie zeit- und raumintensiv wäre es, wenn sich jeder einen eigenen Fitnessbereich in einer Nische zusammenklauben würde? Stellen wir uns vor diese Idee noch auf viele, viele andere Bereiche auszuweiten und wir kommen dem, was TZM befürwortet, näher.
Wenn diese Art zu denken Sinn macht, dann spielt es bei der Bewertung davon gar keine Rolle, ob es sich gleichzeitig um eine ur-linke Forderung handelt. Das macht das Zeitgeistmovement dennoch nicht zu einer politischen Bewegung im heutigen Verständnis. Es gibt sicher Aspekte, die sich das Movement mit linken, sozial-libertären und Positionen aus der Ökologiebewegung teilt, aber unsere Forderungen gehen in der Regel viel weiter und sind im wörtlichen Sinne äußerst radikal.
Heinle: Wie viele subkulturelle Vereinigungen kritisiert auch die Zeitgeist-Bewegung das
Zinseszinssystem aufs Heftigste. Könnt ihr erklären, wo der Zusammenhang zwischen dem Zinseszins und dem Elend auf der Welt in euren Augen besteht?
Holland: Es gibt viele Probleme damit, wie Geld entsteht und wie es funktioniert
Kommodifizierung der Natur und des sozialer Prozesse (Humankapital...), kurzfristigem Denken und Handeln wird in Geldallokationsprozessen die größere Bedeutung zu, erst später kümmert man sich um langfristige Konsequenzen, Millionen Menschen verhungern jedes Jahr, nur weil sie keinen Zugang zu Geld haben... etc. Zinsen sind im gegenwärtigen System ein Wachstumstreiber.
Zinsen, Immobilienbesitz, Insiderwissen bei Spekulation, Finanzmarktmanipulation etc. führen zu Umverteilungsprozessen von der Masse der Leute, die nur ihre Arbeitskraft zum Markt tragen kann, hin zu einigen wenigen (die aktuelle Oxfam-Studie hat es wieder eindeutig gezeigt). Während Millionen von Menschen immer noch jedes Jahr verhungern müssen, nur weil sie keinen Zugang zu Geld haben, wird eine Kleine, für uns unnahbare Elite, immer reicher.
Die „Kapitalverzichtsprämie", wie der Zins auch genannt wird, ist im gegenwärtigen System ein Wachstumstreiber - um z.B. einen Kredit zu bedienen (weil ich ein Unternehmen gründe, oder neue Maschinen anschaffe), oder Prämien an meine Aktionäre auszuschütten möchte, muss ich jedes Jahr mehr umsetzen; mehr Produkte und Dienstleistungen verkaufen, also wachsen und damit mehr Ressourcen verbrauchen.
Oder ich senke Bestandteile meiner Kosten, z.B. Umwelt- und Arbeitnehmerstandards, indem ich in ein Billiglohnland outsource... die langfristigen Folgen dieses Verhaltens, also der Senkung von Kosten und Maximierung von Profit, sehen wir heute in den leeren Augen von Kindern, die in Ghana unseren Elektroschott nach Verwertbarem durchwühlen, oder in dem gigantischen Ökozid in einigen Provinzen in China.
Zinsen müssen irgendwann in der Realwirtschaft bedient werden und das führt zu mehr Wachstum und damit Energie, Platz und Ressourcenumsatz, oder eben zur Abschreibung von Schulden, oder eine Währungsreform, damit das Spiel noch etwas weitergehen kann.
Dieser Zwang könnte zumindest gemildert werden, wenn man in einem ersten Schritt über zinzfreie Geldschöpfung nachdenkt und danach über Möglichkeiten, ganz auf Geld zu verzichten, wie es das Movement andenkt. Letztlich brauche ich strategischen Zugang zu dem, was ich von Geld kaufen kann und nicht zu Geld selbst.
Heinle: Zeitgeist-Aktivisten, wie ihr es welche seid, sind keine
Antisemiten, da bin ich mir sicher. Und ihr geht auch einer wichtigen Aufgabe nach, wenn ihr die offiziellen Geschichten des Mainstreams hinterfragt und alternative Theorien, auch mit konspirativen Elementen, in den Raum stellt. Keine Frage.
Leider kann das, was ihr macht, etwa
Verschwörungstheorien aufstellen und das Geldsystem kritisieren, auch antisemitische Ressentiments hervorrufen. Ohne es je gewollt zu haben, findet man sich dann als Organisation unter Judenhassern wieder.
Dann mündet die Kritik am Zinseszins in der Proklamation, dass der Zins ein Instrument einiger fauler, raffgieriger Juden, wie etwa der Rothschild Familie, zur Ausbeutung und Knechtschaft der gesamten Menschheit, sei. Oder dem Staat Israel wird die Alleinschuld an den Kriegen unserer Welt gegeben. Die Online-Community studiVZ ließ die Zeitgeist-Gruppen 2009 sogar löschen, weil die von ihnen verbreiteten Information u.a. „strukturell antisemitisch" seien.
Was könnt ihr also tun, um nicht ein Sammelbecken für den Antisemitismus zu werden?
Holland: Nicht eine Person, die sich mit der Philosophie des Movements identifiziert kann von sich auch gleichzeitig sagen, Antisemit zu sein. Wie sollte das funktionieren? Eine Bewegung, die sich für die Überwindung von Nationalismen, künstlichen Grenzen und religiösen Dogmen ausspricht soll eine einzelne Gruppe von Menschen ausgrenzen oder diskriminieren? Nein.
Entweder man hat nicht verstanden worum es dem Movement geht (und man müsste sich schon große Mühe dazu geben), oder man versucht gezielt ein schlechtes Licht auf die Bewegung zu werfen, weil man sozialen- und Wertesystemwandel, aus welchen Gründen auch immer, zu verhindern sucht.
Es stimmt, es gibt viele naive Menschen, die einfache Feindbilder suchen (von Rothschild bis Rockefeller, von Hamas bis Mossad) wenn ihre Lebensumstände hoffnungslos sind oder man „mit der Gesamtsituation unzufrieden ist" und sich nicht die Mühe gemacht hat, strukturelle Ursachen und Zusammenhänge der Verwerfungen in der Welt ausfindig zu machen.
Deshalb interessiere ich interessiere mich z.B. dafür, was strukturelle Ursachen für Xenophobie und Gewalt sind und wie man sie beseitigen kann. Dafür eigne ich mir Wissen aus der Hirnforschung, der Sozialpsychologie, Philosophie und Gesellschaftstheorie an... es gibt noch viel zu lernen.
Heinle: Apropos Religion. Für die Zeitgeist Bewegung sind Entitäten wie Religionen, Nationen, Rassen, Klassen usw. veraltete Begriffe. Diese würden uns spalten und davon abhalten, unser ganzes Potential als Menschheit auszuschöpfen. Mir gefällt die Vorstellung, dass sich der Mensch von seinem Glauben und Nationaldenken löst und nur noch als Kosmopolit begreift.
John Lennon besingt sie herrlich in seinem Stück „Imagine." Die Gründe, warum mehrere Menschen zu ein und demselben Ergebnis kommen, können jedoch höchst unterschiedlich sein. Deshalb interessenshalber:
Was habt ihr gegen Religion?
Holland: Solange die religiöse Praxis sich auf das Privatleben beschränkt, gar nichts. Wer allerdings die Argumente, die leidenschaftliche Atheisten und Antitheisten wie Christopher Hitchens, David Silverman, Richard Dawkins, Aaron Ra vorbringen und für sich evaluiert hat weiß, was Religion - Propaganda und Gehirnwäsche - mit und aus Menschen machen kann.
Der Wahrheitsanspruch der vielen tausend Sekten und Glaubenssysteme beißt sich nicht nur untereinander und bringt Menschen so unnötiger Weise gegeneinander auf, er verträgt sich auch nicht mit logischem, analytischem, kritischem und allgemein wissenschaftlichem Denken. Hast du gewusst, dass es mehr Christliche Denominationen als Sätze in der Bibel gibt?
Heinle: Und was gegen souveräne Nationalstaaten?
Holland: Mein zu Hause ist erst der Planet Erde und dann erst der Kontinent Europa und alles weitere. Ich stelle fest, dass die Menschheit durch ihre Verhaltensweisen und technischen Möglichkeiten heute eine reale Gefahr für dieses über Millionen Jahre gewachsene System ist.
Es gibt für mich bei der Beantwortung essentieller Fragen, z.B. der Klimakatastrophe, keine rein „deutschen" oder „chinesischen"-Interessen; nicht nur weil uns die Folgen früher oder später ohnehin alle treffen werden, sondern auch weil wir notwendiger Weise kooperieren müssen um diese Herausforderungen zu meistern. Nationalismus ist nur ein weiteres Paradigma, das wir überwinden sollten.
Heinle: Allen mir bekannten Streitschriften der Zeitgeist Bewegung ist ein optimistischer Blick auf die zukünftige, technologische Entwicklung gemein. Ich habe schon einige Bücher und Artikel von Zukunftsforschern gelesen. Einige von ihnen sind schon längst tot und die zwischenzeitliche Entwicklung hat ihnen nicht Recht gegeben.
Deshalb beschleicht mich das Gefühl, dass Zukunftsprognosen naturgemäß eine geringe Trefferquote haben müssen, da einfach zu viele und zu viele unvorhersehbare Faktoren die Welt von morgen mitbeeinflussen.
Warum seid ihr euch so sicher, den technologischen Fortschritt in die Zukunft extrapolieren zu können?
Holland: Ich bin mir da zum Beispiel gar nicht so sicher und unterscheide mich in dieser Hinsicht auch von einigen anderen Zeitgeistern. Zwei extreme Positionen, radikale Wachstumskritiker wie Niko Paech, Nate Hagens und Technikoptimisten wie Michael Braungart und Jeremy Riffkin haben mein Verständnis dafür was möglich und was wahrscheinlich ist entscheidend geprägt.
Diese beiden Lager sind nicht wirklich vereinbar und weil aus beiden gute Argumente für die jeweilige Positionen kommen, muss ich weiter recherchieren und habe mir noch kein abschließendes Urteil gebildet.
Heinle: Bleiben wir bei Technik. Des Weiteren sprecht ihr euch für eine „soziale Kybernetisierung" des Menschen aus. Muss man das überhaupt noch? Die KI-Forschung schreitet doch weltweit voran und wird sogar staatlich unterstützt.
Holland: Viele Menschen fürchten einen gewissen Technikpaternalismus, also die bewusste oder unbewusste („wohlmeinende") Bevormundung durch Technik.
Nicht selten vergessen sie aber, wie viele Prozesse uns heute bereits durch künstliche Intelligenz abgenommen werden und welchen unschätzbaren Wert CAD (computer aided design) auf viele Bereiche unseres Lebens hat. Vom Navigationsgerät bis zur Ampelschaltung, von Prothesen und Hirnimplantaten für behinderte Menschen und alles, was mit dem Internet zu tun hat.
Aber man muss Technik und Software eben offen entwickeln, sich die Möglichkeiten des Schwarms zu Nutze machen und immer bedenken, was realisierbar ist. Hocheffiziente Elektroautos - schön und gut, aber Individualverkehr ist sicher kein Konzept für die Zukunft. Was ist mit Nano-Technologie? Ich bin auf diesen Gebieten kein Experte, aber Technologie hat in einem nicht mehr auf Expansion und Konkurrenz befindlichen System keine für mich erkennbaren Nachteile.
Heinle: Es gibt tausende alternative Denker und jeder verspricht mir, dass er die Lösungen für fast alle unserer Probleme hat.
Ihre genialen Ideen vom „Mainstream" aber leider verkannt werden. Der gemeine Mensch hat aber weder die Zeit noch den Intellekt, um sich mit all diesen „Heilsversprechen" zu beschäftigen. Könnt ihr mir zum Schluss einen ultimativen Grund nennen, warum euer Weg der richtige ist?
Holland: Nein, das kann ich nicht. Das Konzept einer RBE ist dem aktuellen sozioökonomischen System weit überlegen, aber da es nur bedingt Referenzpunkte gibt und das Konzept bisher nicht etabliert ist, wird der Weg ohnehin steinig und von jedem einen enormen Bewusstseins- und Wertesystemwandel fordern.
Wenn wir aber weiter mit dem Wachstumsboot fahren, werden die vor uns liegenden Stromschnellen so ungemütlich und die Konsequenzen für die meisten Menschen so desaströs, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass die Ideen des movements und Aventgardeprojekte, in denen die Gedanken des movements bereits im kleinen gelebt werden, noch lange eine Existenz unter dem Radar der Allgemeinheit fristen.
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