Zuerst einmal will ich klarstellen, dass jede Art von sexuellem Missbrauch an
Kindern aufhören muss. Dazu gehören unangebrachte sexuelle Gespräche mit Kindern, sexuelle Handlungen im Beisein von Kindern und der Besitz von Kinderpornographie.
Ein Teil meiner Lebensaufgabe ist es, sexuellen Missbrauch von Kindern in jeglicher Form zu reduzieren, denn ich bin mir der schrecklichen Konsequenzen an Kindern sehr bewusst. Allerdings vergessen viele oft die nicht-übergriffigen Pädophilen, und darüber möchte ich hier schreiben.
Es wird zu unachtsam mit Pädophilen umgegangen
Die klinische Definition eines Pädophilen ist: "Jemand, der sich vorrangig oder exklusiv zu vorpubertären Kindern (unter 11 Jahren) hingezogen fühlt." Die Medien, die Polizei und somit auch die Öffentlichkeit gehen sehr nachlässig mit dem Begriff „pädophil" um.
Fälschlicherweise wird oft jemand, der sich Bilder von sexuellem Missbrauch an Kindern ansieht - sich jedoch vorrangig zu Erwachsenen hingezogen fühlt - als pädophil bezeichnet.
Jemand, der sich an Kindern vergangen hat, wird oft als pädophil gebrandmarkt, obwohl derjenige glücklich verheiratet und sexuell mit Erwachsenen aktiv ist und sich auch zu diesen stärker hingezogen fühlt, als zu Kindern.
Aus klinischer Sicht ist das eine inkorrekte Beschreibung. Pädophil ist jemand, der sich stärker zu Kindern als zu Erwachsenen hingezogen fühlt, oder dessen sexuelle Neigung ausschließlich Kindern gilt.
Viele Pädophile haben ein Trauma erlitten
In meiner therapeutischen Arbeit mit pädophilen Klienten bin ich auf eine ganze Reihe unterschiedlicher Gründe gestoßen. Viele Pädophile haben in ihrer Vergangenheit eine traumatische Erfahrung erlitten, oft im Alter von acht oder neun Jahren bei Jungen und sieben oder acht Jahren bei Mädchen.
Oft wiederholen sie auf gewisse Weise Aspekte ihrer eigenen Vergangenheit. An ihrer Kindheit zu arbeiten und das Trauma mittels einer Therapie zu verarbeiten, scheint ihre Haltung und ihre Neigung zu Kindern komplett und langzeitlich zu verändern.
Aber es gibt andere, deren sexuelle Neigung zu Kindern tieferliegende Gründe zu haben scheint.
Dr. James Cantor vom "Center for Addiction and Mental Health" in Toronto, Kanada, nutzt MRT-Scans, um das Gehirn von Pädophilen zu untersuchen. Laut Cantor ist Pädophilie eine „sexuelle Orientierung. Sie ist etwas, mit dem wir im Grunde genommen geboren werden. Das scheint sich nicht mit der Zeit zu verändern und gehört zum Kern unserer Selbst, wie jede andere sexuelle Orientierung."
In diesem Fall bietet eine Therapie Techniken und Strategien, die der betroffenen Person helfen können, mit ihren sexuellen Neigungen umzugehen, so dass sie nicht zu sexuell-übergriffigen Pädophilen werden, eine Heilung gibt es jedoch nicht.
Nicht jeder Pädophile ist ein Verbrecher
Das bringt mich zu einer sehr wichtigen Unterscheidung. Nämlich, dass nicht jeder, der pädophil ist, gleichzeitig auch ein Kinderschänder ist. Nur weil die Neigung besteht, heißt das nicht, dass dieser Neigung auch Taten folgen müssen.
Ich bin mir sicher, dass es einige Leser gibt, die einen glücklich verheirateten Arbeitskollegen oder Freund haben, zu dem sie sich sexuell hingezogen fühlen, dem aber nie nachgeben würden. So ist es auch für nicht-übergriffige Pädophile. Sie erkennen ihr sexuelles Interesse für Kinder, verbringen aber ihr gesamtes Leben damit, damit umzugehen, und brechen nie in irgendeiner Weise das Gesetz.
Sie fassen nie ein Kind an, gehen keinen sexuellen Handlungen im Beisein eines Kindes nach und suchen auch nicht im Internet nach Kinderpornographie und Bildern von sexuellem Missbrauch an Kindern. Natürlich gibt es auch Pädophile und andere Menschen, die schreckliche Verbrechen begehen, zu denen auch sexueller Missbrauch an Kindern gehört, das will ich gar nicht bestreiten. Im Moment geht es mir aber um diejenigen, die ein rechtstreues Leben führen.
Zwei StopSO-Klienten, mit denen ich gesprochen habe, haben zugestimmt, ihre Geschichte zu veröffentlichen. Unter der Bedingung, dass ich ihre Namen verändere.
Chris: Alles begann, als er ein Teeanger war
Nennen wir einen von ihnen Chris. Seine sexuellen Gedanken über Kinder bereiteten ihm Sorge. Er wusste nicht, wo er Hilfe bekommen konnte. Jetzt, in seinen Zwanzigern, lebt er seit zehn Jahren mit diesen Gedanken. Alles begann, als er ein Teenager war.
Aber diese Gedanken begannen stärker zu werden, und er wollte Hilfe. Um sicherzugehen, dass er dem Drang nicht nachgeben würde. Er ging zu seinem Hausarzt. Dieser sagte ihm ganz ehrlich, dass es seine Pflicht sei, seine Neigung zu melden.
Chris wollte eine Therapie machen
Der Arzt wusste nicht, wo Chris Hilfe bekommen könnte, aber er googelte „pädophile Hilfe Großbritannien" und landete so bei StopSO: Special Treatment Organisation for the Prevention of Sexual Offending (zu Deutsch: Organisation für die besondere Behandlung zur Vorbeugung von sexuellem Missbrauch).
Chris wurde zur Therapie überwiesen, konnte die Kosten jedoch nicht selber tragen. Zum Glück verfügt StopSO über geringe Mittel, so dass sie jene, die die Therapie nicht selber zahlen können, finanziell unterstützen können.
Der Hausarzt gab einen Sicherheitshinweis an die Behörden weiter. Es kam zu einem strategischen Treffen an dem neben dem Hausarzt auch die Sozialbehörde, die Polizei und das lokale Gremium zum Schutz von Kindern vor sexuellen Übergriffen teilnahm.
Bei diesem Treffen kam man zu der Entscheidung, dass es für eine weitere Untersuchung oder eventuelle Maßnahmen keine ausreichende Grundlage gäbe. Chris hatte keinen Kontakt zu Kindern und es gab keine Beweise dafür, dass er schon einmal übergriffig geworden war.
Die Polizei ermittelte
Chris sagte mir, dass er jemanden kenne, viel jünger als er selbst, der sich aufgrund seiner besorgniserregenden Gedanken über Kinder Hilfe gesucht hatte. Diese Person suchte auch ihren Hausarzt auf - die zuständige Behörde vor Ort war eine andere und so endete es damit, dass die Polizei den Fall offiziell untersuchte.
Es war eine grauenvolle Erfahrung. Am Ende kam man zu dem Ergebnis, dass die Person völlig unschuldig war. Es gab keine illegalen Fotos auf dem Handy oder dem Computer, keine Kinder in der unmittelbaren Familie oder im näheren Umfeld.
Die Behörden waren schließlich der Meinung, dass die Person die Wahrheit sagte und die Untersuchungen ergaben, dass keine Beweise für ein Verbrechen vorlägen. Auch schien es unwahrscheinlich, dass ein Verbrechen verübt werden könnte.
"Ich suchte erst einen Arzt auf, als ich akut selbstmordgefährdet war"
„Hätte ich seine Geschichte im Vorfeld gekannt, dann hätte ich mich nie meinem Hausarzt anvertraut. Und wenn ich gewusst hätte, dass es Hilfe gibt, und dass ich mich vertraulich behandeln lassen könnte, dann hätte ich mir schon sehr viel früher Unterstützung gesucht. Ich wartete, bis ich akut selbstmordgefährdet war und suchte erst dann schließlich meinen Arzt auf. StopSo hat letztendlich den feinen Unterschied für mich ausgemacht. Ich fand einen Therapeuten, der wusste, wovon er sprach, und so konnte ich auch weiterhin ein rechtstreues Leben führen. Trotz meiner Neigung will ich einem Kind niemals Leid zufügen. Ich kenne jetzt Strategien, die mir helfen. Darüber zu sprechen war ein wichtiger Schritt", so Chris.
Weiter erzählt er: „Wenn man einmal die Vorstellung akzeptiert hat, dass es Menschen gibt, die sich Hilfe suchen, weil sie Kinder nicht verletzen wollen - und das kann nur etwas Gutes sein - dann sollte diesen Menschen dieser Schritt doch so einfach wie möglich gemacht werden. Denn sonst werden diese Menschen den Schritt nicht wagen. Wir wollen, dass mehr Menschen dieses Problem erkennen und es sich eingestehen und sich diesbezüglich so früh wie möglich Hilfe suchen. Das minimiert zum einen das Risiko, dass andere Menschen Schaden erleiden müssen und außerdem ist eine Therapie zu einem möglichst frühen Zeitpunkt sehr viel einfacher und effektiver."
Chris hat die Therapie so sehr geholfen, dass er über seine Erfahrungen auch im Radio gesprochen hat. Er weiß auch, dass die Türen bei StopSO für ihn immer offen stehen, sollte er weitere Hilfe benötigen.
James, ein anderer Klient, erkannte mit ca. 20 Jahren, dass er sich zu Kindern hingezogen fühlte.
James: "Es muss mehr getan werden, um Betroffenen zu helfen"
„Mit meinen Eltern konnte ich darüber nicht sprechen. Zum Glück hatte ich einen guten Freund und mit ihm zu reden hat mir sehr geholfen. Einen Therapeuten zu finden, der offen für meine Gedanken war und wusste, wie ich meinen Drang kontrollieren konnte, hat mein Leben verändert. Es ist ein schwieriges Thema, aber ich glaube, dass noch mehr getan werden muss, um Betroffenen zu helfen. Sie sollen sich nicht ausgeschlossen und aussätzig fühlen. Ich habe festgestellt, dass der Drang, der Neigung nachzugeben, sich enorm verstärkt, wenn ich nicht darüber sprechen kann. Wenn ich darüber spreche, dann habe ich ein Ventil, über das ich den Druck ablassen kann, dann habe ich mich selbst im Griff. Die Website Virped, eine Seite für Pädophile, die sich keusch verhalten, hat mir sehr dabei geholfen, meiner Neigung nicht sexuell nachzugehen. Manchmal habe ich mich auch an eine Hotline gewandt. Aber die Therapie von Angesicht zu Angesicht war es, die bei mir wirklich den Unterschied ausgemacht hat. Ich hoffe, dass die Gesellschaft nach und nach akzeptieren wird, dass Pädophilie nichts ist, dass man sich selber aussucht. Ein Kinderschänder aber entscheidet sich bewusst für seine Taten."
Ohne Zweifel sind sowohl Chris wie auch James Pädophile, die klar zwischen einer Neigung und entsprechenden Taten unterscheiden und entschlossen sind, auch weiterhin gesetzestreu zu leben.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Huffington Post UK und wurde von Cornelia Lüttmann aus dem Englischen übersetzt.
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