Italiens Innenminister Matteo Salvini kommt gehörig unter Druck.
Am Sonntag traf ihn gar die Kritik des Papstes: Das Oberhaupt der katholischen Kirche forderte vor Tausenden Gläubigen in Rom alle europäischen Regierungen auf, die 49 Migranten aufzunehmen, die seit Wochen auf dem Mittelmeer ausharren müssen.
Vizepremier Salvini habe den Appell von Franziskus auf dem Petersplatz selbst gehört, berichtet die italienische Tageszeitung “La Repubblica” und spricht von einer “kalten Dusche” für den Hardliner Salvini.
► Salvini, Chef der rechten Lega, hält unbeirrt an seinem Kurs in der Migrationspolitik fest: Die italienischen Häfen bleiben weiterhin geschlossen für die Seenotretter und ihre Migranten an Bord.
Doch die harte, stramm rechte Linie von Salvini stößt zunehmend auf Widerstand. Zuletzt sorgten mehrere prominente italienische Bürgermeister für Schlagzeilen, die sich gegen ein Gesetz des Innenministeriums stellten.
Erlebt die populistische Regierung in Rom gerade einen Aufstand der anderen Seite, des Italiens, das für eine offene Gesellschaft statt für Abschottung einstehen will? Die Lage in Italien – auf den Punkt gebracht.
Wer sich gegen Salvini stellt:
Zu den Rebellen gehören unter anderem der Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando, und von Neapel, Luigi de Magistris. Sie beide gelten schon länger als Kritiker der Populisten-Regierung.
► In einer Video-Botschaft bot Bürgermeister Luigi de Magistris vergangenen Mittwoch an, dass Neapel bereit sei, die Migranten aufzunehmen.
Im Gespräch mit der “taz” begründet der Bürgermeister am Montag seine Entscheidung. Neapel sei eine Stadt der Migranten. Er betont:
“Gott sei Dank gibt es sehr viele Italiener, die mit Salvini nichts gemein haben. Unser Land wäre am Ende, wenn hier das rassistische, diskriminierende, gewalttätige Denken Salvinis von allen geteilt würde.”
► Auch Rebell Leoluca Orlando stellt sich gegen Salvini – er ist einer der lautesten Kritiker eines Migrationspakets der populistischen Regierung, das es Einwanderern erschweren soll, nach Italien zu kommen.
Orlando kündigte an, das Gesetz nicht umzusetzen. “Es ist keine Frage der Migranten oder der offenen Häfen für alle, es ist eine Frage der Menschen- und Bürgerrechte für alle”, schrieb er vergangene Woche auf Facebook. Und weiter:
“Heute beginnt es mit den Migranten und morgen folgen die anderen. (...) Alle Regime in der Geschichte haben immer mit unmenschlichen Rassengesetzen angefangen, die als Sicherheitsgesetze getarnt waren.”
Orlando will zudem gerichtlich gegen das Gesetz vorgehen. Auch die Bürgermeister von Florenz, Bari oder Mailand protestieren gegen die neuen Regelungen.
Das sind die Hintergründe des Streits:
Das Parlament hat das umstrittene Einwanderungsgesetz, von der Regierung als “Sicherheitsgesetz” bezeichnet, bereits Ende November verabschiedet.
Selbst beim Koalitionspartner, der Fünf-Sterne-Bewegung, war Salvinis Prestigeprojekt höchst umstrittenen. Das Gesetz soll die Ausweisung von Migranten erleichtern, soziale Leistungen für Migranten werden eingeschränkt.
Kritiker bemängeln, dass viele Migranten ihren Aufenthaltsstatus durch das Gesetz verlieren. In den vergangenen Jahren erhielten laut der Nachrichtenagentur AFP rund 25 Prozent der Migranten, die nach Italien kamen, einen humanitären Schutzstatus, der es ihnen möglich machte, zwei Jahre im Land zu bleiben und zu arbeiten.
Der Status wurde durch einen einjährigen oder halbjährigen Schutzstatus ersetzt, arbeiten dürfen diese Menschen nicht mehr. Die Asylbewerber sollen zudem zentral in Auffangzentren untergebracht werden.
Viele Menschen verloren ihren Schutzstatus und landeten auf der Straße. Der britische “Guardian” zitierte nach der Verabschiedung des Gesetzes eine Mitarbeiterin des Roten Kreuzes in der Stadt Crotone:
“Man kann nicht einfach Menschen auf der Straße zurücklassen. Dies ist eine Verletzung der Menschenrechte. Wir werden uns jetzt um diese Leute kümmern, aber ich hoffe, die Dinge werden sich ändern.”
Wie es um die Regierung aus Lega und 5 Sternen steht:
Seit rund einem halben Jahr ist die ungewöhnliche Regierung aus der rechten Lega und der eher linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung nun im Amt. Der erste große Streit mit Brüssel um den Haushalt ist ausgestanden – auch intern konnte die Regierung die bisherigen Konflikte bestehen.
Profitiert hat bisher vor allem einer in der Regierung: Provokateur Matteo Salvini. Seit der Amtsübernahme hat die Lega in der Wählergunst massiv zugelegt. Das zeigen auch die Umfragen für den nächsten Stimmungstest im Mai bei den EU-Wahlen.
Zuletzt kam die Lega in einer Umfrage des Instituts BiDiMedia auf 34 Prozent, die Wahlgewinner der Fünf Sterne sackten um 10 Punkte auf 25 Prozent ab (grau hinterlegt sind die Ergebnisse der letzten Europawahl).
Auch wenn Salvini also den Widerstand einiger Bürgermeister zu spüren bekommt: Hunderttausende Italiener unterstützen seine Politik.
Laut einer Umfrage für die Zeitung “La Repubblica” im November sahen 58 Prozent den lautstarken Vizepremier Salvini als wahren Regierungschef an, 58 Prozent der Befragten unterstützten auch die Koalition insgesamt.
► Dennoch: Die Vorgänge in Italien seien ein Zeichen eines wachsenden Widerstands gegen die Politik der Regierung, sagt Historiker Andrea Mammone der HuffPost.
Er lehrt an der Royal Holloway University of London und beschäftigt sich mit Neofaschismus und Nationalismus in Europa.
Aber Mammone gibt auch zu bedenken: “Wir sind immer noch weit entfernt von einer Mobilisierung wie beispielsweise in den USA.” Gegen US-Präsident Donald Trump gingen teilweise Millionen Menschen auf die Straße, bei Protesten für eine humanere Flüchtlingspolitik in Italien sind es meist einige Tausend.
In Rom fand am Sonntag ein kleiner Sit-in zur Unterstützung für die Migranten auf dem Mittelmeer statt.
“Wir brauchen einen stärkeren und breit angelegten Aktivismus von unten”, fordert Mammone, der ein ausgesprochener Kritiker von Salvini ist.
Versagen sieht der Historiker aber auch bei den Oppositionsparteien, etwa den Sozialdemokraten des früheren Premiers Matteo Renzi. “Renzi und andere sind immer noch nicht in der Lage zu verstehen, warum sie verloren haben”, sagt Mammone.
Auch die EU sieht er aber in der Verantwortung. Brüssel dürfe Italien nicht im Stich lassen. “Die Umsiedlung von Migranten und die Solidarität sind nach wie vor zentral”, betont Mammone.
Auf den Punkt gebracht:
Salvini hat sich mit einem neuen Gesetz und seiner Haltung gegenüber Migranten auf dem Mittelmeer politische Gegner geschaffen. Die Opposition im Parlament und auf der Straße mag leise sein, für Wirbel sorgen derzeit italienische Bürgermeister.
Der Protest ist ein Zeichen für einen wachsenden Widerstand gegen die Politik der Hardliners Salvini. Ob er Wirkung zeigen wird, ist allerdings völlig offen. Die italienische Regierung kann sich auf eine breite Zustimmung in der Bevölkerung stützen.
(ben)