“Sogar wenn er ein Rassist wäre, würde ich ihn wählen“, sagt Marcelo Amador Pereira vor der Wahl der HuffPost Brasilien. Ihn: Jair Bolsonaro, den Rechtsextremen, der gerade die Wahl zum 38. Präsidenten Brasiliens gewonnen hat.
Pereira ist ein Schwarzer aus São Paulo, der während der Regierung der Sozialdemokratin Dilma Rousseff und ihrer Arbeiterpartei PT seinen Job verloren hat.
Warum jemand wie Pereira einen Mann wählt, der die Sklavenvergangenheit der Vorfahren schwarzer Brasilianer relativiert? “Weil er gegen die PT antritt und ich werde nicht im Geringsten akzeptieren, was die PT Brasilien angetan hat.“
Tatsächlich ist es die Partido dos Trabalhadores für die Stimmung in Brasilien mitverantwortlich, die Bolsonaros Aufstieg möglich machte.
Es ist eine weitgehend berechtigte Kritik: Die Arbeiterpartei war 2003 unter dem Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva an die Macht gekommen, weil sie etwas verkörperte, das wie revolutionäre Hoffnung wirkte – ein Glaube, “dass sie [die Partei] die bestehende Ordnung in Brasilien nutzen könnte, um den Armen zu helfen, und das nicht zum Schaden – sondern sogar mit der Hilfe – der Reichen“, wie der Britische Autor Perry Anderson 2016 schrieb.
Auf da Silva, der bis 2011 regierte, folgte Roussef. 2016 wurde sie dann ihres Amtes enthoben – und Millionen von Brasilianern freuten sich darüber.
Diese waren größtenteils wohlhabend oder Mitglieder der Mittelschicht und waren wochenlang auf die Straße gegangen, um Roussefs politisches Ende zu fordern. Zu dieser Zeit hatte die Partei eine eigene Form der weltweit ausufernden Sparmaßnahmen-Politik übernommen, die sie zuvor immer ausgeschlossen hatte. Dabei war sie einer Art der Korruption verfallen, die viele ihrer Unterstützer aus der Arbeiterklasse von der Partei entfremdete.
Die Vertreter der liberalen Konterrevolution in Brasilien konnten nun neben den Stimmen der Eliten, die ihnen sicher waren, nun auch darauf hoffen, einige Wahlkreise zu erobern, in denen traditionell die PT heimisch war.
Niemandem gelang das so gut wie Bolsonaro.
Er erhielt Unterstützung aus dem gesamten politischen und sozialen Spektrum, sogar von armen und schwarzen Wählern, die von seinen repressivsten politischen Maßnahmen am ehesten betroffen sein werden.
Umfragen vor der Wahl zeigten, dass Bolsonaro bei schwarzen und dunkelhäutigen Wählern und auch bei Frauen vor seinem Konkurrenten Fernando Haddad von der Arbeiterpartei lag – sogar ein überraschend großer Anteil der LGBTQ-Gemeinde in Brasilien unterstützte ihn, trotz des Rassismus, Sexismus und der Schwulenfeindlichkeit.
Das Versagen der Eliten – und die Duldung Bolsonaros
Es wäre jedoch falsch, Bolsonaros Aufstieg an die Macht als rein populistische Revolte zu verstehen.
Seine wichtigste Unterstützerbasis hat der Rechtsextreme nicht bei den Armen und der Arbeiterklasse, die einst aus voller Überzeugung hinter der Arbeiterpartei standen, sondern bei denselben Eliten, gegen die Bolsonaro im Wahlkampf ständig wetterte.
Jener Elite, die so gut wie keine Verantwortung dafür übernommen hat, dass sie die Umstände mit geschaffen hat, in denen sein Aufstieg erst möglich wurde.
Eine gesunde Demokratie beruht auf der gegenseitigen Achtung einer Reihe von Grundsätzen, doch infolge der Präsidentschaftswahl 2014, begann das Mitte-Rechts-Establishment Brasiliens, diese alten Grundsätze zu ignorieren.
Die mitte-rechts gerichtete Sozialdemokratische Partei Brasiliens (PSDB) zweifelte bei Rousseffs knapper Wiederwahl das Ergebnis an und befeuerte damit abstruse Verschwörungstheorien in den sozialen Medien, dass die Präsidentin aus der Arbeiterpartei von Wahlbetrug profitiert habe.
Zwei Jahre später starteten die Parteien der Mitte den Versuch, Rousseff des Amtes zu entheben. Der Versuch wirkte weniger wie eine demokratische Kontrolle der Regierungschefin, sondern vielmehr wie ein Bemühen der etablierten Parteien Brasiliens, sich die Macht, die sie an den Wahlurnen nicht gewinnen konnten, mithilfe eines hübsch getarnten Kreuzzugs anzueignen.
Für andere Akteure im rechten Spektrum, darunter Bolsonaro, war dies alles bloß die Möglichkeit, eine linke Regierung loszuwerden, die, wie sie behaupteten, einen Krieg gegen “Gott, die Familie und das brasilianische Volk“ führte.
Die Operation “Autowäsche”
Während des Korruptions-Chaos um die PT und des Aufstands des rechts-Mitte Bündnisses gegen Rousseffs Regierung lief in Brasilien die sogenannte Operation “Autowäsche“ – ein Versuch, das politische System des Landes von der Korruption zu befreien, die in allen Bereichen grassiert.
Heute jedoch kann niemand bestreiten, auch nicht die Befürworter der Untersuchung, dass sie dazu beigetragen hat, die Demokratie auszuhöhlen, statt sie zu stärken.
“Eines der unerwünschten Resultate des Lava-Jato-Falls – dieser Auseinandersetzung mit der Korruption – ist, dass sich der öffentliche Diskurs in Brasilien extrem polarisiert hat“, sagt Bruno Brandão, der Direktor von Transparency International in Brasilien. “Auch das politische System und die politische Klasse wurden diskreditiert. Und, was noch besorgniserregender ist, auch die Demokratie selbst.“
Diese Polarisierung ist nicht allein das Ergebnis der Korruptionsermittlungen – linke und rechte Parteien, in denen beschuldigte Politiker saßen und sitzen, haben jahrelang versucht, die “Autowäsche“ zu diskreditieren.
Bolsonaros direkter Vorgänger, der Konservartive Michel Temer versuchte mehrfach, die Ermittlungen zu unterbinden; der Kongress versuchte mitten in der Nacht, neue Anti-Korruptionsgesetze zu verhindern; da Silva und die PT verunglimpften die Gesetze als Versuch, die Linke zu zerstören, was nicht ganz der Wahrheit entspricht, da reihenweise Politiker anderer Parteien ebenfalls ihr Amt verloren und im Gefängnis landeten.
Doch die Ermittler waren auch selbst dafür verantwortlich, dass die Operation “Autowäsche” diskreditiert werden konnte – und mit ihr der Kampf gegen Korruption und für die Demokratie.
Richter Sergio Moro, der Leiter der Ermittlungen, war für die Verurteilung des Ex-Präsidenten da Silva verantwortlich, der in den Umfragen führte, bevor er aufgrund der Korruptionsvorwürfe von der vergangenen Wahl ausgeschlossen wurde.
Moro hat sich jahrelang als unpolitisch dargestellt, doch seine Jagd nach da Silva wirkte zunehmend übereifrig. Die Verurteilung da Silvas wurde von unabhängigen brasilianischen Rechtsexperten als schlampig und juristisch fragwürdig kritisiert und auch das Timing einiger Erkenntnisse seitens Moro war auffällig: Mitten im Amtsenthebungsverfahren von Rousseff 2016 tauchten Mitschnitte von Telefonaten zwischen ihr und da Silva auf; eine Aussage, in der da Silva, Haddad und die PT der Bestechung beschuldigt werden, tauchte kurz vor der Wahl auf.
All das lässt darauf schließen, dass der Richter den Fall beeinflusst hat – und dadurch möglicherweise auch die Wahl. (Im November willigte Moro ein, Vorsitzender des Justizministeriums in der Regierung Bolsonaro zu werden.)
Politiker und Medien unterschätzten Bolsonaro von Anfang an
Die Eliten Brasiliens und auch die Medien unterschätzten Bolsonaro von Anfang an. Sie unterschätzten die Intensität der Anti-Establishment-Bewegung, die ihn ins Amt trug.
Und sie unterschätzten die Dynamiken, die dieser Bewegung dabei halfen, sich im Land zu verfestigen.
In den letzten zwei Jahren versicherten mir politische Beobachter und Journalisten in Brasilien nicht nur, dass Bolsonaro nicht gewinnen würde – er könne gar nicht gewinnen. Als sie ihn nicht mehr schlichtweg ignorieren konnten, behandelten sie ihn wie eine Nebenattraktion; sicherlich würden seine schlimmsten, am stärksten provozierenden Aussagen ausreichen, um die Brasilianer zu überzeugen, dass er ein viel zu radikaler Reaktionär sei.
Im Hintergrund nutzten Bolsonaro und seine Unterstützer die sozialen Medien, um seine Botschaft über Facebook, Twitter und WhatsApp (die beliebteste soziale Plattform in Brasilien) zu verstärken. Dabei nutzten sie das bestehende Misstrauen gegen die großen Medienkanäle Brasiliens und die Reichweite dieser sozialen Netzwerke, um Nachrichten zu verbreiten, die völlig substanzlos und frei erfunden waren.
Mitglieder der Medien und der politischen Elite waren sich sicher, dass nach der offenkundigen Diskreditierung von da Silva und der PT eine gemäßigte Persönlichkeit mit Mitte-Rechts- oder Mitte-Links-Einstellung auftauchen würde.
Doch die Brasilianer brachten ihren Unmut über das gesamte Establishment der Mitte deutlich zum Ausdruck: Während die Arbeiterpartei bei den Kongresswahlen immer noch mehr Sitze gewann als alle anderen Parteien, wurden die Mitte-Rechts-Parteien im ersten Wahlgang vernichtend geschlagen.
Zynismus, Korruption und das Streben nach unbeliebten Wirtschaftsreformen unter Temer hatten auf der rechten Seite ein Vakuum entstehen lassen – und dann kam Bolsonaro und füllte diese Lücke.
Bolsonaro und das Bündnis zwischen Mob und Elite
Die Korruption war von Anfang an Bolsonaros Totschlag-Argument gegen die PT. Er transformierte ihre Verbindungen zur “Autowäsche“ in einen breit angelegten Angriff gegen ihre Legitimität und ihre Daseinsberechtigung.
Die Linken, so behauptete Bolsonaro auf seiner Homepage, wollten “Ideologien importieren, die unsere Identität [als Brasilianer] vernichten“. Dies gefiel einer wachsenden Anzahl von protestantischen und konservativen Bewegungen sowie auch Teilen der Mittelschicht, die den Sozialliberalismus der Linken ablehnten.
Er machte sich auch die Gegenbewegung gegen eine Ausweitung der Bürgerrechte für Arme, die LGBTQ-Gemeinschaft und schwarze Brasilianer zunutze.
Dass Bolsonaro seine Anti-Korruptionshaltung nur als Wahlkampftaktik einnahm, vergleichbar mit Trumps versprechen “den Sumpf trocken zu legen“, war schon vor seinem Amtsantritt offensichtlich.
Bolsonaros Sohn Flávio muss sich bereits Befragungen über mögliche Korruptionsvorwürfe stellen und trotz seines Versprechens, keine Staatsbediensteten in seinen Ministerien arbeiten zu lassen, die der Korruption schuldig gesprochen wurden, hat Brasiliens neuer Präsident laut der Investigativseite “The Intercept“ bereits mindestens sieben Personen ernannt, die früher oder aktuell in solche Skandale verwickelt waren oder sind.
Darunter sind auch sein Stabschef und sein Finanzminister Paulo Guedes – ein Ökonom, der seinen Abschluss an der Universität von Chicago machte; ein Verfechter des freien Marktes, dessen enge Verbindungen zu Bolsonaro während des Wahlkampfes der brasilianischen Unternehmer-Elite klar zu verstehen gab, dass sie sich beim angeblichen “Populisten“ einschmeicheln müsste.
Wie auch bei Trump waren Bolsonaros Angriffe gegen die Korruption mehr als heuchlerisch. Es klang nach einem Herrenvolk-Ansatz: Reichtümer für die herrschende Klasse, Verbannung und Ausgrenzung für alle anderen. Die demagogische Verfolgung der Korruption passte in Bolsonaros größeren Kontext der Verunreinigung der brasilianischen Identität durch die Unterschichten des Landes.
Die Philosophin Hannah Arendt schrieb einst darüber, dass totalitäre Herrscher in der Geschichte schon immer auf ein Bündnis zwischen Mob und Elite angewiesen waren. In Brasilien und anderenorts war für den Aufstieg eines neuen Autokraten die Duldung des “Adels“ erforderlich, der keine Verantwortung für die systemischen Fehler übernehmen möchte, die das Land plagen.
Und auch wenn viel Medienpräsenz auf die normalen Menschen verschwendet wurde, die Bolsonaro unterstützten, so war es doch von viel größerer Bedeutung, dass seine Unterstützung mit jeder höheren Stufe auf der Einkommenstreppe zunahm. Zu verdanken war dies den Eliten, die seine Abscheu gegen die Linken teilten und die zufrieden damit waren, einen Faschisten an die Macht zu bringen, der die Linke ausbremsen würde.
Die schlimmsten Schäden, die Bolsonaro verursachen würde, wären ohnehin für die schwächsten Mitglieder der brasilianischen Gesellschaft reserviert – die Eliten sind, wie immer, von dem Schmerz, den sie verursachen, ausgenommen.
“Bolsonaro kann Dinge schaffen, die Trump nicht schafft”
Wenn das alles nun erstaunliche Ähnlichkeiten zu den Geschehnissen in den USA aufweist, ist das kein Zufall. Bolsonaro hat seinen Aufstieg an die Macht nach dem Beispiel Trumps geplant, dessen Sieg auf jahrelangem Verfall der Demokratie beruhte.
Auch Trump war nur ein Symptom eines größeren Leidens; ein Produkt des schwindenden Vertrauens der Amerikaner in ihre demokratischen Institutionen. Und so übernahm Bolsonaro viele von Trumps Strategien: Auch er befürwortete Gewalt gegenüber Kritikern, machte sich nativistische und rassistische Ängste zunutze und deutete an, dass Betrügereien seiner politischen Rivalen schuld sein müssten, falls er die Wahl verliert.
Er forderte auch die Inhaftierung nicht nur seines Gegners, sondern auch von Aktivisten, die für die Linke arbeiteten. Er wandte sich gegen die Zivilgesellschaft und machte den Vorschlag, die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen und Menschenrechtsgruppen zu beenden.
Er versprach, den Sicherheitskräften noch mehr Freiraum für unmittelbare Erschießungen zu geben und beschimpfte die Medien als Agenten der “Fake News“, die einfach nur das korrupte Establishment beschützen wollten.
In Bolsonaros Wahlkampf, wie auch bei Trump, wurde es zunehmend zur Gewohnheit, immer absurdere antidemokratische Ideen zu äußern. Oftmals tat das Bolsonaros Sohn Flávio, ein Kongressabgeordneter und der Social-Media-Guru seines Vaters.
Flávio und der Kandidat für das Vizepräsidentenamt, General Antonio Hamilton Mourão, stellten immer radikalere Ideen in den Raum – wie beispielsweise den Kongress, wenn nötig, schließen zu lassen. Sie taten das nur, damit Bolsonaro selbst später vorsichtig zurückrudern konnte, falls ein Journalist danach fragte oder zu viel Aufsehen erregt wurde.
Mit dieser Strategie, ob sie nun bewusst angewendet wurde oder nicht, wirkte Bolsonaro gemäßigter als er es eigentlich ist, während er die Grundsätze verschob, nach denen er beurteilt wurde. Nun wirkt ein Bolsonaro, der zumindest nicht den Kongress schließen lässt, die Verfassung umschreibt oder eine neue Militärherrschaft einrichtet, schon sehr wie ein überzeugter Demokrat.
Ein grundlegender Unterschied zwischen Bolsonaro und Trump ist jedoch, dass der erste von den beiden in der Demokratie Brasiliens einen deutlich größeren Schaden anrichten kann als der andere es in den USA vermag.
“Bolsonaro kann in Brasilien potenziell Dinge tun, die Trump nicht machen kann“, sagt Steven Levitsky, ein Politologe an der Universität Harvard und Autor des Buches “Wie Demokratien sterben: Und was wir dagegen tun können″. “Denn die Institutionen in Brasilien sind nicht annähernd so robust wie die in den Vereinigten Staaten.“
“Es klingt nach der McCarthy-Ära“
Unter Bolsonaros ernannten Ministern befinden sich mehr ehemalige Militäroffiziere als es seit dem Ende der Diktatur jemals in einer zivilen Regierung gab. Er ernannte Minister, die dieselbe anti-globale Rhetorik pflegen, wie man sie in den frühen Tagen der Regierung Trump immer wieder hören konnte.
Bolsonaro und sein favorisierter Leiter des Bildungsministeriums, Ricardo Vélez Rodríguez, sind Unterstützer der Bewegung Escolas sem Partido (Parteilose Schulen). Dies war einst eine Randbewegung, die versuchen wollte, öffentliche Schulen und Universitäten daran zu hindern, Schüler und Studenten mit linken Ideologien zu “indoktrinieren“.
Es gab in den Tagen nach der Wahl Berichte darüber, dass einige Universitäten überfallen wurden, um Bücher über Faschismus zu entfernen, und dass Professoren und andere Akademiker, die sich offen gegen den neuen Präsidenten gestellt und ihn als Faschisten bezeichnet hatten, direkt ins Visier genommen und belästigt wurden.
Auch hat Bolsonaro schon früh angedeutet, dass er seine Drohungen wahr machen wird und er Ureinwohner enteignen wird, um ihr Land der Landwirtschaft und dem Bergbau zur Verfügung zu stellen; er sagte, Brasilien sollte die indigenen Stämme in die brasilianische Gesellschaft “integrieren“, darunter auch diejenigen, die in geschützten Reservaten leben oder Völker, die keinen Kontakt zur Außenwelt haben – auch gegen ihren eigenen Wunsch.
Es ist möglich, dass Bolsonaro wie ein echter Autokrat regieren wird – dass er eine beliebige kleine Krise nutzen könnte, um seine Macht auszubauen und die Demokratie mit einem Schlag auszuschalten. Er könnte den Kongress schließen lassen, die Arbeiterpartei und die Mitgliedschaft darin und in anderen Oppositionsparteien und Bewegungen verbieten und abweichende Meinungen, Protest und freie Berichterstattung kriminalisieren.
Wahrscheinlicher ist es jedoch, dass er eher regieren wird wie Trump: Angriffe auf die Presse, politische Gegner und demokratische Institutionen mit einer unaufhörlichen Flut an Kritik, sodass ihre Glaubwürdigkeit bei seinen Anhängern weiter untergraben wird – ein Musterbeispiel!
Außerdem wirkt dies abschreckend für die gewählte Opposition. Bolsonaro bezeichnet so gut wie alles, was sich links von seinem politischen Standpunkt befindet, als “Kommunismus“ und erklärte, seine Bewegung habe das Ziel, “fremdartige Ideologien“ aus Brasilien fernzuhalten.
“Es klingt nach der McCarthy-Ära“, sagte mir Alexandre Padilha, ein hochrangiges Mitglied der Arbeiterpartei, der in da Silvas Regierung tätig war. “Er hasst alles, was in Brasilien links ist und im Grunde meint er, man müsste das alles eliminieren.“
Bei den Rechten dienen diese Ängste und die Rhetorik, die diese Ängste ausgelöst hat, eher als Vorlage für Späße. Am Tag vor der Amtseinführung postete Carlos Bolsonaro (ein Abgeordneter in Rio und ein weiterer Sohn Bolsonaros) ein Bild auf Twitter: darin sieht man seinen Vater, der hocherfreut ist über Polizeimorde und der seine Gegner “Pussys“ nennt.
“Die Linke weint!“, twitterte Carlos Bolsonaro dazu hämisch.
Politische Gewalt ist in Brasilien schon jetzt Alltag
In den USA hatten Trumps unaufhörliche Attacken einen negativen Einfluss darauf, wie die US-Amerikaner ihre eigenen Wahlen, die Presse und andere demokratische Institutionen betrachten.
Außerdem fühlen sich Rassisten und weiße Nationalisten durch seine Rhetorik bestärkt, was potenziell zu einem Anstieg der Gewaltverbrechen gegen Minderheiten geführt hat, sei es aufgrund der Hautfarbe, der Herkunft oder der Religion.
In Brasilien ist politische Gewalt bereits jetzt schockierender Alltag: Im Jahr 2018 wurde die Stadträtin von Rio de Janeiro Marielle Franco ermordet, während sie eine Veranstaltung verließ und allein im Wahljahr 2016 wurden 28 Kandidaten ermordet. Bolsonaros wiederholte Aufrufe, dass seine Anhänger sich gegen Politiker der Arbeiterpartei wenden sollen, könnten tödliche Konsequenzen haben.
Seine Leute verstehen seine Anspielungen: In den Tagen vor der Wahl zerstörten Bolsonaro-Anhänger voller Stolz Franco-Denkmäler in Rio. Bei seinen Wahlkampfauftritten tauchten nach und nach Symbole der weißen Nationalisten der USA auf, beispielsweise die Flagge von Kekistan, einem erfundenen Land, das von Fanboys der neuen Rechten in Online-Foren gegründet wurde und verehrt wird.
In der Wahlnacht hielten seine Anhänger Banner hoch, mit denen sie dem ehemaligen Armee-Oberst gedachten, der während der Militärdiktatur das Folterprogramm leitete.
Brasilianer der LGBTQ-Gemeinde, die bereits jetzt häufig Opfer von Gewalt werden, haben Angst, dass Bolsonaros aggressive Ablehnung gegen ihre Rechte seinen Anhängern zu verstehen geben wird, dass diese noch mehr Angriffe gegen die LGBTQ-Gemeinde verüben können. Außerdem bestärkt Bolsonaros Rhetorik zum Thema öffentliche Sicherheit und Polizeikräfte einige der Hard-Liner in der brasilianischen Polizei, wie einige Einheimische berichten.
In São Paulo erzählte mir ein junger schwarzer Schriftsteller, der am Rande der Stadt in den Favelas lebt, dass er in den ersten drei Wochen nach der Wahl fünf Mal von der Polizei angehalten wurde – meistens als er nach der Arbeit in seine Nachbarschaft zurückkehrte.
Im letzten Monat kursierten in Rio Videos von zwei jungen Männern, die von der Polizei erschossen wurden und auf der Straße lagen, bevor die Polizisten, die sie getötet hatten, ihre Leichen auf die Ladefläche eines Pickup-Trucks warfen. Allein im letzten Jahr tötete die Polizei mehr als 4200 Menschen – im Bundesstaat Rio war die Polizei für ein Fünftel aller Tötungen verantwortlich. Bolsonaro wird die tödliche Schlagkraft der Polizei eher noch stärken.
Dabei hat er Unterstützung in und außerhalb der Politik. Die Brasilianer sind mit großer Mehrheit für eine aggressive Haltung auf Seiten der Polizei und während der grassierenden Welle der Gewaltverbrechen nahmen immer mehr Politiker eine Hardliner-Haltung ein.
Wilson Witzel, der neue Gouverneur von Rio de Janeiro, sagte, der Staat würde “Gräber ausheben“ für die Leichen der potenziellen Kriminellen, die von der Polizei getötet werden. Der frisch gewählte Gouverneur von São Paulo, João Doria, der sich während seines Wahlkampfes an Bolsonaro ausgerichtet hat, wählt ähnliche Worte, wenn es darum geht, Polizisten zu schützen, die des Mordes beschuldigt werden.
Die Institutionen Brasiliens werden die Demokratie des Landes insgesamt wohl bewahren. Doch selbst im besten Fall wird Bolsonaros Brasilien mit ziemlicher Sicherheit noch undemokratischer für diejenigen, die bereits jetzt am meisten unter Gewalt und Unterdrückung leiden, sei diese nun ausgeübt vom Staat oder von anderer Seite.
Ein Modell für “wirklich unerhörten Illiberalismus”
Bolsonaro plante seinen Aufstieg an die Macht nach Trumps Vorbild. Nun werden sich rechte Politiker in ganz Lateinamerika ein Beispiel an Bolsonaros Sieg in Brasilien nehmen.
“Woher kommen Sie?“, fragte mich eine Frau in São Paulo, als der Aufzug, in dem wir standen, das Erdgeschoss erreicht hatte.
Als ich ihr erzählte, dass ich in Washington D.C. lebe, lächelte Sie und wandte sich an ihr Kind. Auf Portugiesisch erzählte sie ihm, dass ich aus demselben Land komme wie Trump.
“Jeder möchte da hin“, sagte sie. “Alle sagen schlechte Dinge über ihn, aber jeder hier möchte dort hinziehen.“
Für viele Brasilianer, die Bolsonaro unterstützen, ist das Chaos, das Trump angerichtet hat und die Bedrohung, die er für die Grundfesten der US-Demokratie bedeutet, nichts, worüber man sich Sorgen machen müsse. Der US-Wirtschaft geht es immerhin gut und Trump ist, in ihren Augen, ein vernünftiger Mann. Er ist ein Außenseiter, der das System aufrüttelte und das Establishment kann damit eben noch nicht wirklich umgehen.
Nun schauen andere auf Bolsonaro: In Uruguay stellt sich ein Emporkömmling, der die Präsidentschaft gewinnen möchte, als Bolsonaro des eigenes Landes dar; in Argentinien, wo es viele derselben Probleme mit der Wirtschaft und der Korruption gibt, die auch Brasilien plagen, könnten demnächst ähnliche Kandidaten auftauchen.
“In den letzten Jahrzehnten lief es für die politisch Rechten in Lateinamerika nicht gut“, sagt Harvard-Professor Levitsky. “Also suchten die rechten Politiker nach einer neuen Formel und Illiberalismus, wirklich unerhörter Illiberalismus, könnte diese Formel sein. Wenn man den Eindruck hat, dass es funktioniert, wird man es reproduzieren.“
Bolsonaro war nicht der erste rechte autoritäre Machthaber, der eine große Demokratie bedroht. Er wird auch nicht der Letzte sein.
“Wir haben Bolsonaro, weil wir Trump haben“, sagt Oliver Stuenkel, Politologe bei der Getúlio Vargas-Stiftung in São Paulo. “Wir hätten hier nicht dieselbe Dynamik beobachten können, wenn das in den USA 2016 nicht passiert wäre. Ich denke, das hat viele Menschen inspiriert, die im Grunde von Trump gelernt haben.“
“Und genauso denke ich“, fährt er fort, “werden Nachbarländer in Lateinamerika von Bolsonaro lernen.“
Dieser Bericht ist ursprünglich bei der HuffPost USA erschienen und wurde von Philipp Windgassen aus dem Englischen übersetzt. Den ersten Teil über den Bolsonaros Aufstieg in Brasilien könnt ihr hier lesen.