Zu Beginn meines Studiums hatte ich wie die meisten Studenten dringend einen Nebenjob nötig. Nach meiner verzweifelten Suche landete ich schließlich in einer der größten Filialen des schwedischen Moderiesen H&M.
Neben der ein- oder anderen Ekelgeschichte und unzähliger unfreundlicher Kunden, muss ich sagen, dass sich besonders ein Arbeitstag auf ewig in mein Gedächtnis eingebrannt hat:
► Der letzte Samstag vor Weihnachten vor drei Jahren.
Ich hatte zuvor bereits in einer ebenfalls sehr bekannten Parfümerie über Weihnachten ausgeholfen und wusste natürlich, dass es sich bei den Festtagen nicht unbedingt um die entspannteste Zeit handelt, um im Einzelhandel zu arbeiten.
Nichtsdestotrotz stand ich an allen Adventssamstagen in einer Kinderabteilung der Modekette. In dieser Zeit hatte ich nicht nur einmal das Bedürfnis, aus Verzweiflung laut zu schreien oder wild um mich zu schlagen.
Unfreundliche Kunden werden an Weihnachten zu echten Bestien
Natürlich können Kunden das ganze Jahr über unfreundlich und ohne Manieren sein. Doch zur Vorweihnachtszeit verwandeln sich viele von diesen ohnehin unangenehmen Zeitgenossen in unzähmbare Bestien, die zum Frühstück wohl kleine Kinder verspeisen und sich für ihr Mittagessen unschuldige H&M-Mitarbeiter aufheben.
► Jeden Samstag vor Weihnachten steigerte sich die Anzahl der Kunden und mein Hass auf die Menschheit direkt proportional immer weiter in die Höhe.
Stangen voller Kleidung wurden zerlegt, Waren des gesamten Hauses wahllos in Ecken geschmissen, Mitarbeiter beschimpft und mehrfach entfachten laute Streits zwischen Kunden über das ein- oder andere letzte Teil.
Ich muss sagen: Ihr Kunden habt mir meine Arbeit zur Weihnachtszeit wirklich zur Hölle gemacht.
Mehr zum Thema:Enormer Stress und Arbeit auf Abruf: H&M-Mitarbeiter klagen über miserable Arbeitsbedingungen
Der letzte Weihnachtssamstag war grausam
Es war der letzte Samstag vor Weihnachten, der mir allerdings den letzten Nerv geraubt und mich fast zum Weinen gebracht hat.
Ich hatte an besagtem Tag eine zehnstündige Schicht und zu allem Überfluss waren wir auch noch stark unterbesetzt. So kassierte ich im Akkord ab 10 Uhr morgens einen Kunden nach dem nächsten ab, während auf der Verkaufsfläche das absolute Chaos herrschte.
Bis zum frühen Abend war es niemandem von uns möglich, die Kassen zu verlassen, da jede Kraft dort dringend benötigt wurde.
Nachdem wir also gezwungen waren, die gesamte Kinderabteilung über sieben Stunden hinweg den Kunden selbst zu überlassen, zog ich gegen fünf Uhr als erste Mutige auf das Schlachtfeld, um die Flächen rund um die Kasse aufzuräumen.
In meinen rund 1,5 Jahren bei dem Textildiscounter habe ich noch nie so etwas gesehen, wie an diesem Tag.
Ich kämpfte mich durch - durch alles
Obwohl ich in der Mädchenabteilung anfing, aufzuräumen, befand sich an den Stangen und auf dem Boden der Fläche weniger Mädchenkleidung, als alles andere, was wir im Store verkauften.
Zwischen BHs, Schmuck, Männer-Jeans und Babykleidung fanden sich hier und da einzelne Teile, die zumindest in der richtigen Abteilung lagen, wenn auch fernab des richtigen Ortes. Bereits in diesem Moment war ich nahe eines emotionalen Zusammenbruchs.
Als hätten mich die endlosen Schlangen und teils sehr unfreundlichen Kunden an der Kasse über die letzten sieben Stunden nicht bereits genug gestresst: Nun wusste ich, dass ich drei Stunden hatte, um alleine ein Chaos aufzuräumen, für das es mindestens fünf Mitarbeiter gebraucht hätte. Realistischer Weise sogar eher zwei Fußballmannschaften.
Doch es half natürlich alles nichts: Ich kämpfte mich an gestressten, mit Tüten voller Geschenke bepackten Kunden, Kinderwägen und schreienden Kleinkindern vorbei und benötigte allein für das Beseitigen sämtlicher Fremdware an nur einer Stange eine geschlagene halbe Stunde – und hatte daraufhin eine nahezu leere Kleiderstange vor mir.
Schnell wurde mir bewusst, dass mein Unterfangen unmöglich war. Es herrschte zu viel Chaos und die Ware wurde in den letzten Stunden einfach zu achtlos vermischt.
Ich war fassungslos, dass sich die Menschen im Weihnachtsstress tatsächlich noch rücksichtsloser verhielten als sonst. Überall lag Müll oder Artikel an der falschen Stelle und in der Luft lag eine Stimmung, als würden die Läden am nächsten Tag für immer schließen.
Eine ältere Frau brachte mich mit ihren Worten fast zum Weinen
Verzweifelt kämpfte ich mich knapp drei Stunden durch den Laden und kam dabei doch kaum von der Stelle weg, an der ich angefangen hatte.
Es war eine ältere Frau, die mich an diesem Punkt, kurz vor Ladenschluss, fast zum Weinen brachte.
Ich versuchte gerade verzweifelt, eine heruntergefallene Stange voller Kleidung aufzuheben und neu an der Wand zu befestigen, als sie gestresst auf mich zu eilte. Sie fragte mich, ob das reduzierte Oberteil in ihrer Hand noch in einer anderen Größe erhältlich sei und ob ich dazu im Lager nachsehen könnte.
Ich erklärte ihr freundlich, dass es sich dabei um ein Einzelteil handelte, weshalb wir leider keine weiteren Oberteile in anderen Größen auf Lager hätten. Ich verwies sie auf unseren Sale-Ständer im hinteren Teil des Ladens und sagte ihr:
“Sie können auch gerne dort ihr Glück versuchen, ob wir dort einen ähnlichen Pulli reduziert haben. Aber leider sehen Sie ja, dass es hier gerade etwas chaotisch zugeht, deswegen kann ich Ihnen nicht versprechen, dass alle Sale-Teile an diesem Ort liegen.”
Daraufhin fing die Frau zu schreien und mich zu beschimpfen an. Es sei eine Frechheit, dass ich versuche, mich aus meinem Job herauszureden. Ich sei einfach nur zu faul, um im Lager nach dem gewünschten Teil zu sehen und wolle ihr nicht helfen.
“Ich lasse mich doch von so einer kleinen Verkäuferin nicht verarschen”
Wieder versuchte ich, ruhig die Lage zu erklären. Ich sagte ihr, dass ich ihr so kurz vor Ladenschluss leider nicht helfen könne, obwohl ich es gerne würde und sie aber auf der Suche nach einem bestimmten Teil auch gerne unter der Woche noch kommen könne, wenn sie dazu die Zeit habe. Dann würden ich oder meine Kollegen ihr gerne weiterhelfen.
Nun wurde die Frau noch ausfälliger: “Ich lasse mich doch von so einer kleinen Verkäuferin nicht verarschen! Ich brauche dieses Oberteil für meine Enkelin und ich werde mich ganz sicher nicht nochmal in diesen Drecksladen begeben, wo wohl jeder so unfähig ist wie Sie!”
Mit diesen Worten rauschte sie an mir vorbei, während es in mir innerlich nur brodelte. Ich war gestresst, erschöpft und hatte soeben 10 Stunden lang das Weihnachtschaos voller unhöflicher Menschen mit einem Lächeln auf den Lippen überlebt.
Nicht einmal war ich dabei unfreundlich geworden und nun musste ich mich beschimpfen und als unfähig und faul bezeichnen lassen. Ich merkte die Tränen der Wut in mir aufsteigen und ging schnell aus der Verkaufsfläche, um mich zu sammeln.
Die Kundin brach ihr Versprechen
Rückblickend würde ich diese Tage vor Weihnachten und im besonderen den beschriebenen Samstag als die schlimmsten Arbeitstage meiner Karriere bezeichnen.
Die Ironie an der ganzen Geschichte ist übrigens, dass die ältere Frau das Versprechen, das sie mir gab, nicht einhielt. Noch am Montagvormittag kam sie, wie ich es ihr empfohlen hatte, zurück in die Filiale und suchte erneut nach dem Pullover für ihre Enkelin. Dabei hatte sie allerdings – wie ich es ihr ebenfalls angekündigt hatte – keinen Erfolg, da es nun mal ein Einzelteil war.
Später bezahlte sie bei mir einen anderen Pullover aus dem Sale. Ich begrüßte sie herzlich und kassierte sie ab, aber sie konnte mir an dem Tag nicht einmal in die Augen sehen.
Der Artikel basiert auf einem Gespräch zwischen Tatiana Bösch* (Name geändert, aber der Redaktion bekannt) und Jessica Ruhstorfer.
(vl)