Ein Konvoi aus vier weißen Geländewagen biegt in den staubigen Hof einer Schule, davor ein schwarzer Pickup-Truck, drei Männer auf der Ladefläche. Einer von ihnen ist mit einer dunklen Sturmhaube maskiert, zwei haben ein Tuch in Tarnmuster um Mund und Nase gewickelt. In ihren Händen halten sie AK47-Sturmgewehre.
Es ist kurz vor acht Uhr morgens in Al Ghaydah im Südosten des Jemens. Der Unterricht der Kinder sollte hier gerade beginnen. Doch heute ist ein besonderer Tag: In den weißen Wagen, deren breite Reifen das Geröll auf den Wegen nur so durch die Luft wirbeln, befindet sich eine Delegation der saudischen Regierung. Sie ist gekommen, um feierlich die Übergabe von tausenden Schulbüchern an die Schülerinnen und Schüler zu besiegeln.
Es ist eine Seite des Jemenkrieges, die sich weitgehend unter dem Radar der westlichen Öffentlichkeit abspielt.
Im hiesigen Bezirk Mahra (Karte ganz unten) hat Saudi-Arabien begonnen, ein massives Hilfsprogramm aufzuziehen. Während die vom Königreich angeführte Militärkoalition über anderen Regionen des Jemens weiter Bomben abwirft, soll in Mahra der Aufbau beginnen. Vom Krieg gegen die Huthis ist die Region weitgehend verschont geblieben, doch wirtschaftlich und politisch ist sie jahrzehntelang vernachlässigt worden.
Verschiedene lokale Stämme haben die Herrschaft in Mahra unter sich aufgeteilt, in der Abwesenheit einer jemenitischen Zentralregierung waren sie lange die einzige administrative Autorität. Schmuggler machten in Mahra ein blühendes Geschäft, über die Grenze zum Oman sollen Waffen und Drogen auch in die Hände der aufständischen Huthi-Miliz gekommen sein.
Nun soll das ein Ende haben. Saudi-Arabien hat seine Präsenz auch militärisch deutlich verstärkt. Das Land beginnt hier im Osten, seine Vision von einem neuen, einem friedlichen Jemen nach dem Krieg in die Tat umzusetzen.
Der Krieg der Saudis
Abdullah bin Kadasa ist ein vornehmer, junger Mann. Er trägt einen Thawb, das klassische saudische Gewand, und eine runde, modische Brille. Kadasa ist Mediendirektor des Programms SDRPY, das für das saudische Königshaus im Jemen die Entwicklungshilfe koordiniert.
“Es ist unsere Verantwortung, unseren Nachbarn zu helfen. Während wir den Kindern Schulbücher geben, geben die Huthis ihnen Waffen“, sagt er bedeutungsschwer.
Natürlich sind es eher andere Nachrichten, die im Westen über den saudischen Einsatz im südlichen Nachbarland kursieren. Der brutale Krieg gegen die schiitische Miliz der Huthis, die im Jahr 2014 die international legitimierte Regierung aus der Hauptstadt Sanaa vertrieb, hat bereits mindestens 20.000 zivile Opfer gefordert.
Zählt man die Todesfälle mit, die auf die sich weiter ausbreitende Hungersnot zurückzuführen sind, erreicht man die dreifache Zahl. Die UN hat unlängst vor der größten Hungersnot der letzten 100 Jahre gewarnt.
Die “New York Times“ kommentierte zuletzt: “Amerikanische und saudische Regierungsmitglieder betrachten den Jemenkrieg als eine Möglichkeit, den Iran zu kontrollieren. Daran sind sie gescheitert und haben kaum mehr erreicht, als 12 Millionen Jemeniten an den Rand einer Hungersnot zu bringen. Bereits 85.000 Kinder könnten gestorben sein. Wir sind mitschuldig.”
Im August sorgte ein Luftangriff auf einen Schulbus im nördlichen Dahyan für internationales Entsetzen. Mindestens 29 Kinder starben. Die Verantwortung musste die saudisch geführte Militärkoalition übernehmen, die abgeworfene Bombe war ein amerikanisches Fabrikat.
Das Reich der Stämme
In Mahra scheint diese Seite des Krieges weit weg. Die Region rund 800 Kilometer von der Hauptstadt Sanaa entfernt, hat nicht nur kulturell wenig mit dem Norden des Landes gemein.
Die Menschen in Mahra führen ein einfaches Leben, viele von ihnen arbeiten als Fischer. Dafür, dass es nach Fläche der zweitgrößte Bezirk des Jemen ist, leben nur wenige Menschen in den Siedlungen der Gegend: laut Schätzungen rund 350.000. Die Frauen hier tragen schwarze Schleier, die meisten von ihnen die Burka.
Die Huthis, deren dschihadistische Bewegung ihre Wurzeln in den Bergen des Nordens hat, haben hier nie Fuß gefasst. Sicher ist es trotzdem nicht. “Jeder in der Gegend hat eine Waffe“, klagt ein saudischer Soldat, als er den Geländewagen durch die Straßen lenkt. Eigentlich wurden schwere Geschosse zumindest in den Städten verboten, heißt es. Die Kalaschnikow gilt hier allerdings nicht als schwere Waffe.
Hier hatten bislang vor allem die Sheikhs das Sagen, die Anführer großer Stämme oder Clans, die über verschiedene Gebiete der Region wachen. Ein saudischer Arzt in Al Ghaydah erklärt: “Das System hat sich etabliert, weil die Regierung weg ist. Es funktioniert, aber wir selbst wissen wenig darüber. Wir mischen uns da nicht ein.”
Auch sonst ist es nicht einfach, gesicherte Informationen über Mahra zu bekommen.
Eine Google-Suche spuckt nur rund ein Dutzend aussagekräftige Bilder aus der Gegend aus, wenige Wissenschaftler und Analysten haben sich je mit dem Gebiet beschäftigt. Ein abgehängter Landstrich, so scheint es.
Es mangelt an allem: Strom, Öl, Gas, Schulen, Wasser, funktionstüchtigen Fahrzeugen. Dass Saudi-Arabien nun ein millionenschweres Hilfsprogramm ausgerechnet auch hier ausrollt, ist für viele Menschen zunächst ein Segen.
Die Hilfe aus Riad
Das ist auch in der Schule in Algaida spürbar. Über 1000 Mädchen lernen hier – normalerweise. Heute haben sich auch Jungen von anderen Schulen auf dem Pausenhof aufgereiht: Dafür haben die Organisatoren vor der großen Zeremonie gesorgt.
Die Kinder strahlen, stolz singen sie die jemenitische Nationalhymne, Kameras klicken. Viele Mädchen haben sauber geflochtene Zöpfe, einige Jungen tragen blaue Pfadfinder-Uniformen. Alle wirken klein für ihr Alter.
Massoud Shamayri ist Lehrer an einer der Schulen, die heute neue Bücher bekommen hat. Er ist froh über die Unterstützung, das bisherige Material sei sehr schlecht gewesen, sagt er.
Dann verrät er etwas, worüber offiziell niemand sprechen mag: “In den bisherigen Bücher waren alle Huthi-Anführer abgebildet. Die haben die hier rein geschmuggelt.” Der Kampf für die Kinder ist in Jemen auch ein Kampf um die Kinder.
Beim Austeilen der neuen Materialen wird gut erkennbar, dass sich die Hierarchien in Mahra gerade ändern. Mehrere Scheikhs haben an diesem Morgen ihren Weg in die Schule gefunden. Sie tragen einen im Jemen typischen zeremoniellen Dolch an ihrem Gürtel und haben eine eigene Sicherheitsentourage dabei: Es sind junge Männer, kaum achtzehn Jahre alt, manche mit Sturmgewehr, manche mit einer kleinen Pistole am Gürtel.
Im Mittelpunkt aber steht ein anderer: Ali al-Shahri, Brigadegeneral der saudischen Armee. Er begrüßt die Stammesvertreter und Schuldirektoren, Lehrer und Soldaten. Es werden Hände geschüttelt, viele legen ehrfurchtsvoll ihre Hand aufs Herz, als sie al-Shahri begrüßen. Er hat ein freundliches Lächeln aufgelegt. Obwohl er eine schwere Weste über seiner saudischen Camouflage-Uniform trägt, wirkt der Mann mit dem auffälligen Schnauzbart fast wie ein Bürger der Gegend.
Über den Einsatz in Mahra sagt al-Shahri der HuffPost: “Es geht hier sehr schnell aufwärts. Wir bekämpfen den Schmuggel, wir bekämpfen die illegale Migration. Wir sorgen für Sicherheit.” Das gelinge auch deshalb, weil die Menschen den saudischen Soldaten vertrauen würden.
Eine Frage des Öls
Dass sie das tun, darauf deutet zumindest heute viel hin.
Im Herbst dieses Jahres aber berichteten Medien aus Mahra, es gebe Protest gegen die verstärkte Saudi-Präsenz. Ein Einwohner sagte der britischen Nachrichtenseite “Middle East Eye”: “Die Saudis haben die Kontrolle des Bezirks übernommen. (...) Es gibt aber keinen Grund, weil hier keine Huthis sind und wir sie nicht gefragt haben, uns zu beschützen.“
Ein Geschäftsmann aus Mahra, Ameen al-Mehri, sagte der HuffPost, die Gegend verändere sich gerade rasant. Es seien viele Binnenflüchtlinge aus anderen Regionen des Jemens gekommen. Sie hätten das Problem mit dem Khat, einer berauschenden Droge, die viele einfache Männer hier kauen, verschärft.
Mehri, ein kleiner Mann mit Brille und kariertem Hemd, betont: Er sei sehr dankbar, für die Dinge, die die Saudis nach Mahra gebracht hätten. “Aber eigentlich brauchen wir nur ein kleines Haus, eine kleine Schule und Wasser.“
Andere Quellen berichten von kleineren Aufständen gegen saudische Soldaten, die entlang der Küste rund zwanzig Kontrollpunkte eingerichtet hätten. Auch Stammesoberste hätten gegen die Konstruktion der Saudi-Basen protestiert, die Fertigstellung einiger Stützpunkte sei unterbunden worden.
Für Saudi-Arabien ist die Küste nicht nur aus Sicherheitsgründen ein wichtiges Gebiet. Das zeigt ein Besuch am Hafen von Nishtun.
Die Saudis haben hier gerade einen neuen Stromgenerator installiert und den Hafen weiter ausgebaut. Nach Nishtun liefert Riad seine Ölderivate für die Region – seit August erreichen sie landesweit einen Wert von 60 Millionen US-Dollar pro Monat. Damit soll im Jemen die Stromversorgung gesichert werden.
Nishtun ist ein kleiner Hafen, nicht viel mehr als ein aufgeschütteter Wall aus Steinen und sechs großen Öltanks. Nur wenige Schiffe liegen hier, Fischerboote, Transportschiffe, kleine Schnellbotte der saudischen Armee.
Perspektivisch hat das Königreich aber wohl noch andere Hafen-Pläne in der Region. Laut “Al Jazeera” strebt Saudi-Arabien an, einen Ölhafen für den Export von Öl durch eine Pipeline zu errichten. Berichten zufolge hat der Bau dieser Pipeline bereits begonnen. Durch den Ölhafen wäre das Königreich nicht länger an die Straße von Hormus im Persischen Golf gebunden, um sein Öl zu transportieren. Der Iran hatte zuletzt gedroht, die Meerenge zu blockieren.
Stabilität soll Mahra also nicht nur dem Jemen bringen, sondern auch dem saudischen Öl-Geschäft
Der Kampf gegen das Chaos
Ein heikles Unterfangen in einer chaotischen Region.
Wie chaotisch, erkennt, wer das zentrale Krankenhaus von Al Ghaydah besucht. Auch hier hat Riad viel Geld investiert, um eine neue Intensivstation und ein Dialysezentrum einzurichten. Doch noch befindet sich die Klinik im Umbau – und auch die saudischen Ärzte, die extra eingeflogen wurden, kämpfen mit den Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen.
Auf dem kleinen Gang, der an der Rezeption des Krankenhauses vorbei führt, sitzen rund ein dutzend Männer und Frauen. Einige von ihnen sind alt, sie sehen dünn und gebrechlich aus. Dazwischen Mütter mit ihren Kindern, Geschrei.
Eine Traube von Reportern tummelt sich auf dem Flur, um mit den Ärzten über die Unterstützung aus Riad zu sprechen, als plötzlich die Tür aufgestoßen wird.
Ein junger Mann humpelt über den Gang, er schleppt sich geradezu an den im Weg stehenden Journalisten vorbei, zwei Männer zu seiner Linken und Rechten tragen einen Tropf, an dem der Mann angeschlossen ist. In seinen Augen: Schock. Der Mann schreit. Er ist aufgebracht, aufgelöst, wütend. Kurz wird es völlig still, als hätte der Horror in seinem Blick alle Gespräche erstickt.
Mohammed Ahmed Alshamrani, ein saudischer Militärarzt, der in dem Krankenhaus arbeitet, erklärt: “Sein Bruder ist gerade gestorben. Ein Autounfall.“ Er deutet auf das Blut auf seinem Schuh: Er habe ihn nicht retten können.
So etwas passiere hier oft. Die medizinische Ausstattung habe sich massiv verbessert. Aber es dauere noch zu lang, sie zu den Patienten zu bringen, bei denen sie gebraucht werde. Die Organisation hier sei eine Katastrophe – auch weil neben den saudischen Ärzten viele ungelernte Jemeniten in dem Krankenhaus arbeiten würden. “Wir versuchen, sie zu trainieren“, sagt Alshamrani. “Damit so etwas nicht mehr so oft passiert.“
Bis dahin ist es ein weiter Weg – das wissen die Saudis. Sie haben nicht vor, Mahra eher zu verlassen.
Vor dem Krankenhaus wird die Delegation aus Regierungsvertretern und Journalisten schnell in die Geländewagen gescheucht. Das Gebot der Armee: Keine Sekunde zu lang ungeschützt auf offener Straße verweilen.
“Es ist doch nur ein Krankenhaus“, protestiert ein Reporter. Ein saudischer General mit athletischer Statur und breiten Schultern lacht kurz auf, dann wird er völlig ernst. “Ein Krankenhaus im Jemen.“