Es gibt Musiker, denen wird in Deutschland nachgesagt, sie hätten Mauern zu Fall gebracht.
Und es gibt einen Musiker, der könnte von sich behaupten, eine Regierung zu Fall gebracht zu haben. Matthias Moosdorf heißt dieser Mann. Er kommt aus Leipzig und spielt Cello.
Wenn Moosdorf nicht gerade Mozart interpretiert, was ihm laut “Spiegel” internationale Anerkennung einbrachte, interpretiert er internationale Abkommen.
Denn der 53-Jährige ist der Kopf hinter einer länderübergreifenden Kampagne gegen den UN-Migrationspakt, der am Montag in Marrakesch von über 160 Staaten angenommen wurde – und an dem am Wochenende die belgische Koalition zerbrochen war.
Der Sachse, der für die AfD arbeitet, wurde zum Dirigenten einer stürmischen Sinfonie, die auch im Bundestag erklang. Und die – geht es nach ihm – auch nach der Zustimmung von Marrakesch noch nicht ihren letzten Satz erreicht hat.
Der HuffPost sagte er am Montag: “Der Global Compact For Migration ist nur ein Werkzeug zur Umsetzung einer bestimmten Doktrin. Es gibt weitere und wir haben schon wieder etwas sehr Interessantes gefunden.”
Moosdorf findet “Trigger-Worte”
Moosdorf arbeitet akribisch – hinter den Kulissen.
Er ist Mitarbeiter des AfD-Bundestagsabgeordneten Martin Hebner. Politisch spielt der Star-Cellist also bewusst die zweite Geige. Im Januar allerdings gelingt ihm und seinen Kollegen ihr bislang wohl größter Coup.
Im Arbeitskreis für Europäische Angelegenheiten entdecken sie ein Thema auf der Tagesordnung, das nicht zur Diskussion kommen soll. Es steht auf der sogenannten B-Liste.
“Der Tag hat nur 24 Stunden. Die reichen bei Weitem nicht für all das, was da aus Brüssel reingeschwemmt wird”, erklärt Moosdorf. Der “Globale Pakt zur Migration” soll vom Ausschuss also nur zur Kenntnis genommen. Eine Debatte ist nicht vorgesehen.
Moosdorf und eine Kollegin, die Juristin Martina Böswald, wittern ihre Chance. Sie heben das Thema auf die A-Liste. Der HuffPost sagt er: “Globaler Pakt für Migration: Das sind so viele Trigger-Worte, das wir sofort erkannt haben, dass wir unbedingt darüber sprechen müssen.”
So habe das Team vom Frankfurter AfD-Mann Hebner angefangen, sich mit dem Pakt zu beschäftigen. Zu dieser Zeit ist der noch in der Ausarbeitung – und in Deutschland kaum jemandem ein Begriff.
Unter dem Vorsitz Deutschlands und Marokkos treffen sich Diplomaten, Politiker und diverse Interessengruppen im Rahmen von mehreren Veranstaltungen in Wien, Rabat, Genf und Berlin.
Würde man in diesen Tagen aber auf der Straße nach dem Vorhaben fragen, wäre die Reaktion wohl höchstens Achselzucken.
So baut die AfD ein internationales Netz auf
Im Mai beginnt Moosdorf, sich international zu vernetzen.
Erste Gespräche “mit Österreich, Polen, Italien” notiert er in einer Chronologie, die er zur “Deutungshoheit” über den Migrationspakt erstellt hat. Der Musiker mit der auffallenden Lockenpracht erstellt Power-Point-Präsentationen, schreibt erste Gastbeiträge in rechten Medien.
Gleichzeitig beginnt die AfD damit, auf lokaler Ebene über den Pakt zu informieren. In den Kreisverbänden wird der Plan der UN auf die Tagesebene gehoben, so bringt die Partei schnell eine beträchtliche Basis gegen das Vorhaben in Stellung – viele Monate bevor die Bundesregierung erkennt, dass es Unbehagen in der Bevölkerung gibt.
So fehleranfällig die junge rechte Partei in ihrer Arbeit in den Parlamenten oft noch scheint, so professionell orchestriert wirkt ihr Vorgehen um Umgang mit dem Migrationspakt.
Moosdorf erzählt: Am Anfang habe ihn dabei vor allem Neugier getrieben.
“Das Dokument soll ja nicht rechtlich bindend sein, trotzdem steht dort immer wieder ‚wir verpflichten uns‘. Also haben wir ein Gutachten in Auftrag gegeben, um zu klären, inwieweit der Pakt bindend ist. Wir standen dabei in Kontakt mit Gruppen in anderen Ländern, die dasselbe auch mit Völkerrechtlern aus ihrem Land gemacht haben.”
Daraus sei ein reger Austausch entstanden “und es kamen immer mehr Informationen zusammen“.
Alles geht über seinen Schreibtisch
Alle Enden laufen bei Hebners Mitarbeiter zusammen.
Fast alles, was die AfD zum Migrationspakt herausgibt, geht über seinen Schreibtisch. Wohl auch ein umstrittenes Video, das im Sommer die Runde macht.
Darin montiert die Partei zweifelhafte Aussagen (etwa: Der Pakt sorge für eine Gleichstellung von Migranten und Flüchtlingen) neben reißerische Bilder junger afrikanischer Männer. Dazu ein apodiktisches Fazit: “Die Souveränität der Staaten wird in Migrationsfragen abgeschafft.”
Über die Kritik an konkreten Passagen des Textes schießt die Partei hier schon bewusst hinaus – sie paraphrasiert.
Moosdorf aber beteuert trotzdem: “Wir haben uns immer bemüht, dass alles sehr sachbezogen ist, haben abgewogen und immer wieder auch Formulierungen abgeschwächt. Wir wollten nicht uns nie zu Aussagen hinreißen lassen, die nicht haltbar sind.”
Die Kritik der Medien – glaubt er – bestätige nur, dass mit dem System grundsätzlich etwas im Argen liege. Er spricht von “Arroganz”, von “Beschwichtigung” – und von “Betrug”.
“Abkommen von oben an den Menschen vorbei”
Aber was macht Moosdorf, den begnadeten Cellisten, eigentlich so wütend?
Es wäre wohl so einfach wie falsch, ihm rassistische Motive zu unterstellen, wenn er über die afrikanische Überbevölkerung doziert. Eher – so scheint es – geht es ihm um die Frage, wie Demokratie zu funktionieren hat.
In der Bevölkerung, da ist er fest überzeugt, würde es nie und nimmer eine Zustimmung für den Pakt geben. Er spricht von einer Ablehnungsquote um die 95 Prozent. Insa kommt derweil auf andere Zahlen: Ein Drittel dafür, ein Drittel dagegen, ein Drittel unentschlossen.
Doch es ist die Erfahrung der Vergangenheit, die Moosdorf über so etwas hinwegblicken lässt: “Das kennen wir schon von TTIP oder dem Gender-Mainstreaming. Wo es früher zwischenstaatliche Verträge gab, die von der Bevölkerung getragen wurden, gibt es nun Abkommen, die von oben – an den Menschen vorbei – implementiert werden.“
Vor allem nach Österreich findet er mit dieser Schelte für das Establishment Zugang. Hier stimmt die populistische FPÖ in der Regierung neue Töne an, hier verleiht die EU-Ratspräsidentschaft der Causa einen offiziösen Unterbau.
Regierungen finden keine Antwort
Der “Spiegel” berichtet: Hebners Team knüpft Kontakte bis in die FPÖ-Spitze zu Parteichef HC Strache. Über den Umweg des EU-Parlaments sammeln die Österreicher Unterstützer für Moosdorfs Ansinnen in vielen rechtspopulistischen Fraktionen des Kontinents.
Die Medien des Landes machen mit.
Der FPÖ-nahe “Wochenblick” versucht den Druck auf die Regierung in Wien zu erhöhen. Die Zeitung schreibt:
“Angesicht der Brisanz dieses Abkommens formiert sich jetzt Widerstand: Eine überparteiliche Plattform aus Aktivisten und Einwanderungskritikern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz rufen zum Stopp des Paktes auf.”
Gemeint ist damit die Petition des Identitären-Aktivisten Martin Sellner, mit dem auch die AfD bereits auf allen Kanälen wettgeifert.
Ein Keil zwischen Institution und Bürger
Auch das führt wohl zu Moosdorfs großem Coup: Österreich lehnt am 31. Oktober den Pakt ab – eine Blaupause für Populisten überall in der Welt. Etwa in Brüssel, wo die rechte Partei N-VA im Streit über den Pakt aus der Koalition aussteigt.
Es sind Kräfte, die den Pakt nicht aufhalten können, aber ihn durchlöchern.
Viel entscheidender: Sie haben das oft so blinde Vertrauen in die internationale Diplomatie in Zweifel gezogen. Und weder die UN, noch die nationalen Regierungen haben darauf eine Antwort gefunden. Das hämmernde Tempo der rechten Kampagne übertrumpfte den schweren Apparat der internationalen Gemeinschaft.
Moosdorf hatte es mit Mozart gehalten: “Das Notwendigste und das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo.”