- Der ehemalige “Tagesthemen”-Moderator Ulrich Wickert hat sich in einem Interview zum Thema Gleichberechtigung in der Sprache geäußert.
- Der ARD-Journalist wartete mit einer kruden Theorie zur gerechten Behandlung der beiden Geschlechter auf.
“Das Geschlecht ist ein Konstrukt, das immer wieder seine Herkunft verschleiert.” Dieser Satz stammt aus dem Essay “Performative Acts and Gender Constitution” (“Performative Akte und Geschlechterkonstitution”) der Philosophin Judith Butler.
Er bedeutet – für Butler –, dass wir die Geschlechterrollen in unserer Gesellschaft nur konstruieren, erfinden, erdichten. Durch unser Handeln, und ganz besonders unser Sprechen, sagt Butler, unterteilen wir die Menschen künstlich in Männer, Frauen und weitere Geschlechter.
Butlers Theorien haben den modernen Feminismus stark beeinflusst, auch in Deutschland. Deutsch als Sprache diskriminiert alltäglich: Werden Gruppen von Menschen bezeichnet, dann meistens so, als wären sie alle Männer – die Leser, die Journalisten, die Verlagsleiter.
In unserer Sprache werden Frauen (und andere Geschlechter wie Transgender) nur selten in der Mehrzahl erwähnt – außer, man will deren Geschlecht besonders betonen (zum Beispiel “die Fußballerinnen”). Im alltäglichen Sprachgebrauch gehen sie unter, werden verdrängt.
Um dem entgegenzuwirken, wurden Lösungswege gefunden. Es wird von Leserinnen und Lesern geschrieben, von LeserInnen oder von Leser*innen.
Am Freitag hat nun der Rat für deutsche Rechtschreibung über diese Lösungswege entschieden: Sollen sie offiziell vorgeschrieben werden? Der Rat sagt: Nein, die Sprache solle sich von allein entwickeln.
Heißt, wir laufen Gefahr, alle Geschlechter (außer dem männlichen) weiter mit unserer Sprache zu diskriminieren. Denn es soll keine Regelung geben, die uns daran erinnert, weitere Geschlechter in unsere Sprache mit einzubeziehen.
Eine strittige Entscheidung, über die der “Deutschlandfunk” am Samstag mit dem ehemaligen “Tagesthemen”-Moderator Ulrich Wickert sprach.
Es wurde ein für alle Hörer*Innen verdutzendes Gespräch zwischen zwei Männern.
Wickert über Gleichberechtigung für Frauen: “Aber doch nicht in der Sprache”
Vorneweg macht Wickert gleich klar: Er ist strikt dagegen, dass ein Rat den Deutschen vorschreibt, wie sie in Sachen Gleichberechtigung zu schreiben haben.
“Wenn wir die Machtverhältnisse in der Sprache, wie sie seit Jahrhunderten tradiert sind, klar erkennbar machen – dann ist das eigentlich ein Motiv, wo wir sagen: Halt, die Machtverhältnisse sind so und müssen verändert werden”, sagt der Moderator des “Deutschlandfunk”.
So weit, so unbedenkliche. Dann aber folgt diese Reaktion von Wickert: “Aber doch nicht in der Sprache.”
Ob in der Sprache mit der Gleichberechtigung nicht übertrieben werde, fragt da der Moderator nach. Und Wickert bejaht: “Es wird übertrieben, wenn es vorgeschrieben wird.”
Wörter müssten bei der Verwendung vor allem eines sein: Klar. Wickert warnt vor einer “fürchterlichen Individualisierung”, die eintreten würde, wenn nun alle Professoren zu Professorinnen und Professoren würden: “Warum können wir nicht sagen, ein Professor ist ein Professor, das ist eine Person, die an der Uni lehrt?”
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“Lasst uns bei der Sprache auf die Ungerechtigkeit bestehen”
Wickert antwortet selbst darauf, warum er glaubt, der deutschen Sprache sollten ihre diskriminierenden Eigenschaften erhalten bleiben.
“Ich glaube, dass Sprache häufig verkleistert”, sagt Wickert. “Früher sagte man ‘Atommülldeponie’. Heute sprechen wir von ‘Entsorgungspark’. Da wollen sie das schreckliche Wort wegwischen.”
Dann folgt ein kruder Appell des ARD-Journalisten:
“Lasst uns doch auch in der Sprache die Ungerechtigkeit bestehen, damit wir wissen, dass sie da ist, damit wir sie bewusster erkennen können. Wenn sich die Sprache dann entwickelt, okay, aber bitte kein Sprachrat, der uns das vorschreibt.”
Das Argument ist also: Die Diskriminierung in der Sprache erinnert uns daran, dass es Diskriminierung in der Welt gibt. Also lasst uns die Diskriminierung beibehalten, damit wir die Diskriminierung bekämpfen können.
Was Judith Butler dazu wohl zu sagen hätte?